INTERVIEW

„Assads Macht ist schon lange am Bröckeln“

von Redaktion

Experte Bank über die Eskalation in Syrien, Erdogans Rolle und Putins Einfluss

München – Aleppo ist gefallen. Nach acht Jahren hat Machthaber Assad die Kontrolle über die strategisch wichtige Stadt verloren. Ein Rebellenbündnis, angeführt von der islamistischen Haiat Tahrir al-Scham (HTS), hat die Regierungstruppen überrumpelt (siehe Text unten). Im Interview erklärt André Bank, Syrien-Fachmann am German Institute for Global and Area Studies (Giga) in Hamburg, wie es dazu kam.

Herr Bank, die Rebellen haben in wenigen Tagen Dutzende Ortschaften unter Kontrolle gebracht. Nun haben sie sogar Aleppo eingenommen. Wie haben sie das geschafft?

Die Rebellen sind ganz klassisch mit Jeeps, Pick-up-Trucks und Motorrädern vorgerückt. Dann haben sie – eine für sie neue – Waffe eingesetzt: Drohnen. Damit haben sie ihre Ziele sowohl überwacht als auch angegriffen. Und offenbar war das Gebiet überraschend wenig vom syrischen Militär geschützt. Derweil haben sich die Rebellen neu formiert: Sie sind geeinter und stärker als zuvor.

Es sind die schwersten Kämpfe seit 2020. Warum ist die Lage jetzt eskaliert?

Das Assad-Regime und seine Verbündeten – Russland und Iran – sind durch den Krieg in der Ukraine entweder gebunden oder durch Israels Angriffe im Libanon und Syrien geschwächt. Die Rebellen wussten das auszunutzen und haben im richtigen Moment zugeschlagen. Wir sollten aber nicht vergessen: Es war nach 2020 zwar ruhiger, aber bereits in den vergangenen zwei Jahren hat die Gewalt in Syrien wieder stetig zugenommen. Unser Fokus lag nur auf anderen Brandherden.

Es gab bereits im Oktober Gerüchte über eine Großoffensive. Wie konnte das Assad-Regime derart überrumpelt werden?

Das ist noch nicht ganz klar. Aber wir wissen: Assad versucht, das Bild eines stabilen Regimes zu vermitteln, nur entspricht das nicht der Realität. Seine Kontrolle beschränkt sich auf Damaskus, die Küstengebiete und einige Hochburgen. Andere Gebiete sind fragil. Assads Macht ist schon länger am Bröckeln – und auch in arabischen Ländern, die 2023 eine diplomatische Öffnung eingeleitet haben, schwindet die Akzeptanz für ihn.

Hat Erdogan den Rebellen grünes Licht gegeben?

Einige der Rebellen werden stark von Erdogan beeinflusst. Das heißt aber nicht, dass die türkische Regierung die Offensive proaktiv angezettelt hat. Denn es gibt auch Berichte, dass sie frühere Pläne für einen Vormarsch im Oktober gestoppt haben soll.

Was wissen wir über die Rebellen? Wie eng ist HTS mit al-Qaida verbunden?

HTS hat mehrere Wandlungen durchlaufen. Früher, 2012, hießen sie Jabhat an-Nusra – eine Gruppe, die sich mit al-Qaida verbunden fühlte. Und sie waren ein Gegenspieler des IS, der ebenfalls ein islamisches Kalifat wollte, aber als separate Organisation agierte. Seit 2016/17 versucht HTS, sich von al-Qaida abzukoppeln und eine syrische Lösung zu verfolgen. Ihr Führer, Abu Muhammad al-Jolani, gibt sich gemäßigter und trifft sich sogar symbolisch mit Minderheitenvertretern.

Das erinnert an die Taliban, die sich seit 2021 bemühen, als afghanische Regierung anerkannt zu werden.

Richtig: Wie die Taliban strebt auch HTS keine globale islamische Revolution wie der IS an, sondern konzentriert sich auf Syrien. Dennoch bleibt ihre Ideologie radikal-islamisch und somit hochproblematisch.

Welche Gruppierungen findet man noch unter den Rebellen?

Die Erdogan-nahe Syrian National Army (SNA). Sie wird stark von der Türkei unterstützt und agiert als Besatzungstruppe in Teilen Nordsyriens. Beide Gruppen – HTS und SNA – verfolgen unterschiedliche Ziele, aber derzeit arbeiten sie zusammen.

Eine Zweckpartnerschaft?

Genau. Sobald die Machtverteilung in Aleppo geklärt wird, könnten auch zwischen ihnen Konflikte wieder aufflammen.

Das Militär hat eine Gegenoffensive angekündigt. Ist die aussichtsreich?

Das hängt stark von Russland ab. Putin braucht seine Kräfte in der Ukraine. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er, wie in der Vergangenheit, Bodentruppen und Spezialkräfte mobilisieren wird. Aber Russland hat eine Luftwaffe – die Rebellen nicht. Eine große Rolle spielen auch pro-iranische Milizen, die in Syrien operieren: Kann Assad sie mobilisieren? Auf die libanesische Hisbollah kann er sich jedenfalls aktuell nicht mehr verlassen: Die ist nach Israels massiven Militärschlägen völlig geschwächt und muss schauen, dass sie im Libanon ihr Überleben sichert.

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