„Russisch Roulette“ mit dem Atomkrieg: Kandidat Olaf Scholz (SPD) in Potsdam. © Michael Bahlo/dpa
Berlin/München – Es ist wieder eine dieser Reden, die der Kanzler vom Teleprompter abliest, aber bei der er so kämpferisch wirkt wie selten in seiner Amtszeit. „Besinnen wir uns auf unsere Kraft“, ruft er in den Saal, „nicht meckern, machen. Gemeinsam kämpfen, Seite an Seite. Denn wenn wir kämpfen, werden wir siegen.“ Kraft, Kampf, Sieg, es sind die gängigen Begriffe für einen Kandidaten, der in den Umfragen weit, weit hinten liegt und der seine Leute motivieren muss. Doch an diesem Wochenende mischt sich ein neuer Unterton dazu: die Warnung vor Krieg.
Beim Wahlkampfauftakt seiner Partei in Berlin und wenig später bei seiner Nominierung als Direktkandidat in Potsdam macht Olaf Scholz klar, dass er in aller Härte einen Wahlkampf mit der Angst der Deutschen führen will: mit der Angst vor Krieg, einem Atomkrieg sogar. Sich selbst beschreibt der Kanzler als „kühlen Kopf“, als „standfest und besonnen“, seinen CDU-Herausforderer Friedrich Merz als „unberechenbaren Oppositionsführer“ und als „Heißsporn“. Der Unions-Kanzlerkandidat wolle der Nuklearmacht Russland mit Blick auf eine mögliche Taurus-Lieferung ein Ultimatum stellen, sagte Scholz. „Ich kann da nur sagen Vorsicht: Mit der Sicherheit Deutschlands spielt man nicht Russisch Roulette.“
Es ist eine Art Doppelstrategie, einerseits der Ukraine anhaltende Waffenlieferungen zuzusagen, sich andererseits durch das strikte Nein zu einer Taurus-Lieferung als „Friedenskanzler“ zu positionieren. Hintergrund sind Umfragen, wonach ein großer Teil der Deutschen Sorgen hat vor einer Eskalation des Krieges und vor einer Verwicklung der Nato. Mehrere Umfragen der letzten Monate zeigen, dass nur rund die Hälfte der Deutschen die militärische Unterstützung der Ukraine für richtig hält, knapop 40 Prozent sagen, sie fürchteten eine Ausweitung des Krieges.
Dass Scholz das so frontal aufgreift, auf Russlands Nukleararsenal hinweist, und Merz indirekt vorwirft, mit seiner Politik einen Atomkrieg zu riskieren, wühlt die deutsche Politik seit Samstag auf. Das mediale Echo ist ungünstig für Scholz; „Angst-Wahlkampf“, titelt „Bild“, vom „Angstmacher“ schreibt das „Handelsblatt“. Auch Merz selbst wehrt sich. In seiner sonntäglichen Rundmail an die CDU-Mitstreiter schreibt er, Scholz agiere skrupellos und „spiele mit den tiefsitzenden Ängsten gerade der deutschen Bevölkerung“. Es drohe ein „Wahlkampf, der alles in den Schatten stellt, was wir bisher von der SPD gesehen haben“. Merz-Vertraute sprechen von einer SPD-Kampagne aus „Angst und Schmutz“.
Spannend: Die Grünen, Scholz‘ verbliebener Partner in der Rest-Regierung, gehen sofort auf Distanz. Die neue Parteichefin Franziska Brantner sagte der „Bild am Sonntag“, dass sie mit den Positionen von CDU-Chef Merz in der Ukraine-Politik besser zurechtkomme als mit denen von Scholz. Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt greift Scholz frontal an. Mit Besonnenheit habe dessen Kurs nichts zu tun: „Es wäre wirklich besser, sich zu besinnen, die Ukraine ausreichend zu unterstützen und damit auch unsere Sicherheit zu schützen und einen nachhaltigen Frieden auf den Weg bringen zu können.“
Auch die FDP wirft dem Kanzler ein düsteres Manöver vor. Die EU-Abgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann nennt Scholz‘ Agieren „schlicht verantwortungslos“. Hier laufe eine „schmutzige Wahlkampfschlacht auf dem Rücken der von Russland brutal überfallenen Ukraine.“
Unterstützung erhält Scholz von ungewohnter Seite. AfD-Chef Tino Chrupalla sagt bei einem Auftritt in Sachsen, Merz sei „schädlicher als Merkel und Scholz“. Und: „Diese Eskalation mit einer Atommacht ist einfach nur irre. Wer Merz wählt, will Krieg.“ In der SPD gibt es für den Kanzler bisher keinen Protest aus den vorderen Reihen. Die Zuhörer in Berlin klatschen lang. Und bei seiner Aufstellung in der politischen Wahlheimat Potsdam erhält Scholz 93 Prozent Zustimmung.