Symbolischer Blitzbesuch

von Redaktion

Trauer um die gefallenen Soldaten: Olaf Scholz und Wolodymyr Selenskyj am Unabhängigkeitsplatz in Kiew. © AFP

München/Kiew – Plötzlich hatte es der Kanzler sehr eilig. Erst am Freitag hatte Olaf Scholz mit Wolodymyr Selenskyj telefoniert, doch die Öffentlichkeit sollte erst Tage später erfahren, worum es ging: eine Reise nach Kiew, die zweite des Kanzlers seit Beginn des Krieges. Vor zweieinhalb Jahren war er das letzte Mal dort, der Krieg wütete seit vier Monaten. Wochenlang war er damals bedrängt worden, warum er denn nicht in die Ukraine fahre. Scholz‘ Erklärung lautete: Er wolle nicht in die Ukraine fahren, um da bloß Fotos oder Selfies zu produzieren.

Seine Reise am Montag ist dann aber doch eine, die vor allem von eindrucksvollen Bildern lebt, von Selfies mit verwundeten Soldaten und bedrückten Gesichtern am Mahnmal auf dem Maidan-Platz in Kiew. Selenskyj und Scholz, beide in legeren Strickpullovern, es ist in erster Linie ein symbolischer Kurztrip, bei dem zwei dringende ukrainische Wünsche unerfüllt bleiben: die Lieferung der Taurus-Marschflugkörper und eine Einladung in die Nato.

Ganz mit leeren Händen ist der Kanzler aber nicht gekommen, immerhin möchte er der Ukraine noch in diesem Jahr Waffen im Wert von 650 Millionen Euro bereitstellen. Neu ist das für Selenskyj nicht, die Mittel sind schon längst zugesagt.

Eigentlich hätte Scholz am Montag den estnischen Ministerpräsidenten empfangen sollen, doch laut „Politico“ sagt das Kanzleramt den Besuch kurzfristig ab. Warum hatte es Scholz so eilig? Fest steht: Auch sein Konkurrent Friedrich Merz hat eine Einladung von Selenskyj erhalten. Ob ihm der Kanzler mit seiner spontanen Reise zuvorkommen wollte?

Der Bundestagswahlkampf ist längst im vollen Gange. Und Scholz hebt dabei seine Doppelstrategie in der Ukraine-Politik als Alleinstellungsmerkmal der SPD hervor: Einerseits weitere Waffenlieferungen zusichern, andererseits verhindern, dass Deutschland und die Nato in den Krieg hineingezogen werden. Dieses Szenario kreidet er Merz bei einer möglichen Kanzlerschaft an. Mit der Sicherheit Deutschlands spiele man nicht „Russisch Roulette“, warnte Scholz am Samstag den CDU-Chef.

Keine zwei Tage später sitzt der Kanzler schon im Sonderzug von Polen nach Kiew. Er verspricht Kampfpanzer, Raketen, Drohnen und Flugabwehrsysteme. Aber eben keinen Taurus. „Deutschland steht fest an der Seite der Ukraine“, sagt Scholz auf einer Pressekonferenz mit Selenskyj. Doch an seinem Nein zu den Marschflugkörpern ist längst nicht mehr zu rütteln. „Das hat was mit der Reichweite zu tun und den Notwendigkeiten, die Zielsteuerung zu kontrollieren“, erklärt er abermals.

Selenskyj reagiert betont höflich. „Die Taurus-Frage ist für uns eine Herausforderung. Wir haben dazu viel gehört, an der Position Deutschlands gearbeitet“, sagte er. Zur Frage, welchen Unterschied Taurus für den Abwehrkampf gegen Russland machen würde, schiebt er dann aber noch nach: „Wir könnten mehr militärische Ziele in der Russischen Föderation treffen.“ Doch genau das will Scholz nun mal nicht.

Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter bezeichnet die Reise als unglaubwürdiges Wahlkampfmanöver. Der „Augsburger Allgemeinen“ sagt er: „Scholz macht Wahlkampf auf dem Rücken der ukrainischen Bevölkerung und bedient zugleich russische Angst-Narrative.“

Der Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck drückt sich da zurückhaltender aus. Besonnenheit sei immer richtig und gut, sagt Habeck in Richtung Scholz. „Aber es muss eben auch eine gerichtete Besonnenheit sein“, erklärt er. „Und die heißt, dass wir den Frieden in Europa in Freiheit bekommen müssen. Und das geht nicht, indem man sich vor Putin in den Staub wirft.“

Ähnliche Töne gibt es auch von Selenskyj, der dem Kanzler nach wie vor sein Telefonat mit Putin nicht verziehen hat. Er befürchte eine Welle derartiger Gespräche, die einer Anerkennung Putins gleichkämen. „Ich finde nicht, dass dies die Ukraine stärkt“, sagt er. Und dann betont er, dass Kiew mit Berlin dennoch mehr Gemeinsames als Trennendes habe. Doch nach einer engen Freundschaft klingt das nicht mehr.
MIT DPA

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