Barnier: Einsam an der Spitze

von Redaktion

„Der Dialog ist am Ende“: Frankreichs Regierungschef Barnier ebnete den Weg zu dem Misstrauensvotum. © De Sakutin/AFP

Paris – Er ist nur noch auf Abruf im Amt: Frankreichs Regierungschef Michel Barnier. Schon am heutigen Mittwoch könnte das Nachbarland keine voll handlungsfähige Regierung mehr haben. Falls es nicht zu einem Coup in letzter Minute kommt, werden Rechts- und Linkspopulisten gemeinsam für einen Misstrauensantrag stimmen und damit die seit drei Monaten amtierende Regierung von Premierminister Barnier zu Fall bringen. Zünglein an der Waage ist die rechtspopulistische Partei Rassemblement National (RN), die sich jahrelang um ein staatstragendes Image bemüht hatte.

Doch warum hat RN-Fraktionschefin Marine Le Pen ihre Strategie so drastisch geändert und nutzt nicht ihre komfortable Lage, um der Regierung immer mehr Zugeständnisse abzutrotzen? Barnier bewegte sich seit seiner Ernennung konsequent auf die Rechtspopulisten zu. Die linke Opposition prangerte häufig an, die Regierung sei nur noch eine „Marionette“ in der Hand der Rechtsaußen-Partei. In den vergangenen Tagen hakte Barnier nahezu die gesamte Liste an Forderungen der RN ab und gab dabei ein Sparvorhaben nach dem anderen auf.

Doch Le Pen zog immer neue „rote Linien“. Gegen die Regierung zu stimmen, sei „leider unsere einzige Möglichkeit, die uns die Verfassung gibt, um die Franzosen vor einem gefährlichen, ungerechten und bestrafenden Haushalt zu schützen“, betonte Le Pen am Dienstag. Am Vortag hatte sie Präsident Emmanuel Macron vorgeworfen, für die politische Krise verantwortlich zu sein, und ihm den Rücktritt nahegelegt.

„Le Pen hat eine persönliche Agenda“, hieß es im Umfeld des Premierministers. Vor allem geht es um zwei Termine: 2027 will Le Pen zum vierten Mal bei der Präsidentschaftswahl antreten, die sie nach manchen Umfragen gewinnen könnte. Und im März 2025 steht ein Urteil im Veruntreuungsprozess an, der genau dies verhindern könnte. Wenn die Richter der Staatsanwaltschaft folgen, dann könnten sie Le Pen mit sofortiger Wirkung verbieten, bei Wahlen anzutreten.

Es deutet vieles darauf hin, dass Le Pens eigentliches Ziel nicht die aktuelle Regierung, sondern Macron ist. Und seinen Abschied fordern auch die Linkspopulisten. „Wenn Barniers Regierung stürzt, dann stellt sich natürlich die Frage nach dem Rücktritt des Präsidenten“, betonte der Parteikoordinator der Linkspopulisten, Manuel Bompard. Er forderte Innenminister Bruno Retailleau auf, das Land auf eine mögliche vorgezogene Präsidentschaftswahl vorzubereiten.

Barnier hatte den Weg zu dem Misstrauensantrag geebnet, indem er erstmals auf den Verfassungsartikel 49.3 zurückgegriffen hatte. Dieser erlaubt eine Verabschiedung ohne Abstimmung in der Nationalversammlung, wenn die Regierung ein anschließendes Misstrauensvotum übersteht.

Wirtschaftminister Antoine Armand warnte unterdessen vor einem Sturz der Regierung, der das Land in Gefahr bringe. „Wenn morgen die Zinsen steigen, wenn es den Franzosen an das Ersparte geht und die Einkommenssteuer steigt – wer ist dann dafür verantwortlich?“, fragte er mit Blick auf die Opposition. Das Land befinde sich an einem „Wendepunkt“.

Barnier hatte den Sozialhaushalt mit der Vertrauensfrage verknüpft und dies damit begründet, dass „der Dialog am Ende“ sei. „Wir haben den entscheidenden Moment erreicht, der jeden vor seine Verantwortung stellt“, sagte Barnier. Heute um 16 Uhr wird über die zwei vorliegenden Misstrauensanträge debattiert. Voraussichtlich wird über den Antrag der Linken zuerst abgestimmt, da er zuerst eingereicht wurde.

Und der, den dies in erster Linie betrifft, weilt derzeit auf einem dreitägigen Staatsbesuch in Saudi-Arabien, samt Staatsbankett beim Kronprinzen. Emmanuel Macron wird erst heute zurückerwartet – und könnte dann eine Regierung vorfinden, die nur noch geschäftsführend im Amt ist. Und selbst wenn Macron einen neuen Premier ernennt, ist es unwahrscheinlich, dass dieser eine Mehrheit zusammenbekommt. Die politische Krise dürfte sich also noch länger hinziehen.

Artikel 2 von 11