Gegenwind für Baerbock

von Redaktion

Sensible Debatte: Außenministerin Annalena Baerbock, hier bei ihrem Besuch in China, brachte deutsche Soldaten zur Friedenssicherung in der Ukraine ins Gespräch. © Michael Kappeler/dpa

München – Zehn Jahre sind seitdem vergangen, aber Angela Merkel kann sich an ihren Schlüsselmoment mit Wladimir Putin gut erinnern. Bis 2014, so verrät es die Altkanzlerin in einem CNN-Interview, habe sie den Kremlchef nicht als schamlosen Lügner wahrgenommen. Dann kam die Krim-Annexion, zu der Putin Merkel später gestand, er habe seine wahren Motive verschleiert. Putin schere sich nicht um die Interessen anderer, schloss Merkel daraus, schon gar nicht die der Ukraine. Die müsse aber über ihre Zukunft selbst bestimmen können.

Spätestens seit dem Wahlsieg Donald Trumps werden die Gedankenspiele zu dieser Zukunft konkreter. Absehbar ist, dass die USA auf zügige Verhandlungen drängen werden. Die neue EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas denkt nun laut darüber nach, dass ein Waffenstillstand von Soldaten aus Mitgliedsstaaten abgesichert werden könnte: „Wir sollten wirklich nichts ausschließen.“

Das ist nicht so vage gemeint, wie es klingt. Die öffentlichen Debatten über Friedensverhandlungen sind zuletzt immer öfter und lauter geführt worden. Auch die Bundesregierung befasst sich mit der Frage, welche Rolle deutsche Soldaten im Falle eines Waffenstillstandes spielen könnten. Beim Nato-Außenministertreffen in Brüssel sagte Annalena Baerbock, man werde alles, was dem Frieden in der Zukunft diene, „von deutscher Seite mit allen Kräften unterstützen“.

Mit allen Kräften, das würde auch die Option eines Bundeswehreinsatzes beinhalten. Im Extremfall könnte ein solches Mandat eine militärische Konfrontation mit Russland zur Folge haben. Carlo Masala, Politikwissenschaftler der Bundeswehr-Uni München, hält eine Entsendung dann auch für unrealistisch. Die Truppe müsste „so ausgerüstet sein, dass sie umfassend gegen Russland vorgehen kann, wenn Moskau beschließt, die Robustheit der Truppe zu testen“, argumentiert er in der „Bild“. „Umfassende Kriegshandlungen“ wären jederzeit möglich. Zudem würde die Zahl der benötigten Soldaten aus EU-Ländern in die Zehntausende gehen, weil die Frontlinie im Osten und Süden der Ukraine über tausend Kilometer lang ist.

Auch aus der Bundespolitik gab es gestern kritische Stimmen. CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen nannte in der „Augsburger Allgemeinen“ Baerbocks Aussagen „voreilig und leichtfertig“. Ralf Stegner monierte gegenüber dem „Spiegel“, es entspreche nicht der Sorgfaltspflicht bei der Beilegung eines solchen Konflikts, „en passant deutsche Truppen ins Gespräch zu bringen“. Sahra Wagenknecht beklagte einen „geschichtsvergessenen Bellizismus“. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) versuchte in der Regierungsbefragung hingegen, Baerbocks Worte als „diplomatische Antwort“ und Versuch, „weder Ja noch Nein zu sagen“, kleinzureden. Er sei sich mit seiner Außenministerin einig, dass der Ukraine-Krieg „kein Krieg zwischen Russland und der Nato“ werden dürfe.

Schon im Sommer hat der Thinktank Stimson, der die US-Regierung berät, ein Papier veröffentlicht, das verschiedene Möglichkeiten für die Ukraine auflistete: ein Einfrieren des Konflikts mit den aktuellen Frontlinien, die Einrichtung einer demilitarisierten Zone, einen umfassenden Friedensvertrag – und eben einen Waffenstillstand. Für dessen Einhaltung, räumten auch die US-Strategen ein, wären internationale Friedenstruppen zuständig. Die Stimson-Autoren dachten dabei an „neutrale Staaten“, konkret etwa die Türkei oder die Vereinigten Arabischen Emirate.

Bei der neuen EU-Chefdiplomatin Kallas, die ihre erste Dienstreise nach Kiew antrat, klingt das nun anders. Sie bringt Frankreich und die baltischen Staaten ins Spiel. Für Russlands Propagandisten ist das ein willkommener Beleg, dass die Nato in der Ukraine massiv gegen Moskau agieren wolle. Die Nachrichtenagentur Tass spekuliert, mit Verweis auf den Auslandsgeheimdienst, über 100 000 Soldaten und eine geplante Aufteilung der Ukraine in vier Besatzungszonen, kontrolliert von Deutschland, Großbritannien, Polen und Rumänien. Ziel des Westens sei es, „Kiew auf einen Rachefeldzug vorzubereiten“.

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