„Frauen dürfen nicht mehr kriminalisiert werden“, sagt Ministerin Lisa Paus. © dpa
Berlin – Ende der Stigmatisierung oder mangelnder Schutz ungeborenen Lebens: Hunderte Abgeordnete im Bundestag sprechen sich dafür aus, die gesetzliche Regelung der Abtreibung in Deutschland zu reformieren. Gestern wurde erstmals ein fraktionsübergreifender Gruppenantrag beraten, der eine Legalisierung von frühen Schwangerschaftsabbrüchen vorsieht. Ob die Initiative aber noch vor der Neuwahl im Bundestag eine Mehrheit bekommt, ist ungewiss.
Paragraf 218 des Strafgesetzbuches verbietet Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich und sieht unter bestimmten Umständen sogar Haftstrafen vor. In der Praxis bleiben Abtreibungen allerdings bis zur zwölften Schwangerschaftswoche straffrei. Voraussetzung ist, dass sich Schwangere mindestens drei Tage vor dem Eingriff bei einer staatlich anerkannten Stelle beraten lassen.
Gegnerinnen der bisherigen Regelung kritisieren die sozialen und rechtlichen Folgen für Schwangere nach einer Abtreibung. „Frauen dürfen nicht mehr kriminalisiert und stigmatisiert werden, weil sie sich selbstbestimmt für einen Abbruch einer Schwangerschaft in der Frühphase entscheiden“, sagte Frauenministerin Lisa Paus (Grüne).
Der Gruppenantrag von Abgeordneten verschiedener Fraktionen will die Gesetzeslage grundsätzlich neu regeln. Er sieht vor, dass Abtreibungen bis zur zwölften Woche nach vorheriger Beratung nicht mehr verboten sind, sofern sie ärztlich durchgeführt werden.
Abtreibungen sollen dann überwiegend im Schwangerschaftskonfliktgesetz geregelt werden. Paragraf 218 soll – neu formuliert – im Strafgesetzbuch erhalten bleiben und nur noch solche Abtreibungen unter Strafe stellen, zu der Frauen gezwungen werden oder die gegen ihren Willen stattfinden. Zudem sollen die Kosten für eine Abtreibung von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden. Bisher ist dies nicht der Fall.
Der Gesetzentwurf wurde gestern erst in erster Lesung besprochen. Der Antrag hatte mit Stand Donnerstag insgesamt 328 Erstunterstützende von SPD, Grünen, Linken und dem Südschleswigschen Wählerverband (SSW). Darunter sind auch Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne). Bei einer Abstimmung könnten noch Befürworter aus anderen Fraktionen hinzukommen. BSW-Chefin Sahra Wagenknecht signalisierte bereits, dass ihre Gruppe dem Antrag zustimmen werde. Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) nannte Scholz’ Unterstützung für den Antrag „skandalös“ und forderte ihn auf, seine Unterschrift zurückzuziehen.
Der Bundestag debattierte gestern auch über eine fraktionsübergreifende Initiative für die Einführung einer Widerspruchsregelung. Das heißt: Jeder gilt zunächst als Organspender – außer, man widerspricht ausdrücklich. Doch auch hier ist eine Entscheidung noch vor der vorgezogenen Neuwahl am 23. Februar offen.