Die Gefahr im Wasser: Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sieht vor allem in der Ostsee „anhaltende Aggressionen“ Russlands. © Janssen/IMAGO
München – Die Blaskapelle spielt ihren letzten Ton. Boris Pistorius ist begeistert, für ihn hätte es kein passenderes Lied gegeben. „With a little help from my friends“ von den Beatles. Mit ein wenig Hilfe von meinen Freunden. Praktisch unter diesem Motto hat die Deutsche Marine in Rostock im Oktober das neue Nato-Hauptquartier eingeweiht. Zwölf weitere befreundete Nationen beteiligen sich an der Überwachungszentrale mit dem Namen CTF Baltic.
Vor allem geht es darum, mehr Präsenz in der Ostsee zu zeigen. Denn seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ist das Vertrauensverhältnis unter den Ostsee-Anrainern gewaltig angeknackst. Russland versuche, die Region durch „anhaltende Aggressionen“ zu destabilisieren, warnt der SPD-Verteidigungsminister. Praktisch im Wochentakt häufen sich die Meldungen über Vorfälle. Taktische Manöver, Spionageschiffe, defekte Unterseekabel und jüngst Warnschüsse, abgefeuert von einem russischen Schiff auf einen Marine-Hubschrauber.
Was sich genau abgespielt hat, will Pistorius gestern zwar nicht verraten, Details seien nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Trotzdem aber erklärt er: „Das kennen wir aus dem Kalten Krieg.“ Sprich: Provokation, Einschüchterung, Säbelrasseln. „Dieser Zwischenfall hat schon eine neue Qualität“, sagt Sebastian Bruns, Wissenschaftler vom Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel. Denn diesmal sei die Deutsche Marine direkt betroffen. „Gleichzeitig reiht sich das auch ein in die seit vielen Jahren bestehende russische Missachtung von Regeln auf See.“
Es ist der hybride Krieg, den Russland gegen den Westen führt. Das erklärte Ziel: demokratische Gesellschaften zu destabilisieren. Die Methoden sind vielfältig – von Cyber-Angriffen über Attacken auf zivile Infrastruktur bis hin zu klassischen Militäreinsätzen. Das Besondere dabei ist, dass die Schwelle zu einem offiziellen Krieg nicht überschritten wird. Und „die Ostsee ist der Hotspot für hybride Kriegsführung“, sagt Bruns unserer Zeitung.
Das liegt vor allem auch an ihrer brisanten geografischen Lage. Bis auf Russland sind mittlerweile alle anderen Ostsee-Anrainer Nato-Mitglieder. Die Erweiterung des Militärbündnisses hat die Spannungen in der Region noch einmal verschärft. Seit dem Nato-Beitritt von Finnland und Schweden haben die Vorfälle laut Bruns „definitiv“ zugenommen. Gleichzeitig sei die Öffentlichkeit nun auch sensibilisierter dafür. Denn „das Konzept der hybriden Kriegsführung praktiziert und perfektioniert Russland schon seit über zehn Jahren“.
Kein Wunder also, dass die Nato die Ostsee verstärkt in den Fokus nimmt. Nicht nur mit ihrem neuen Hauptquartier in Rostock, sondern auch mit einer neuen Schutz-Strategie. „Dazu gehören ein verstärkter nachrichtendienstlicher Austausch, mehr Übungen, ein besserer Schutz kritischer Infrastruktur, eine verbesserte Cyberabwehr und ein härteres Vorgehen gegen Russlands Schattenflotte von Ölexportschiffen“, kündigt Nato-Generalsekretär Mark Rutte an.
In der Ostsee sabotieren russische Kräfte nämlich nicht nur fleißig, sondern umgehen auch die Sanktionen wegen des Angriffs auf die Ukraine. Dies geschieht, indem „Frachtschiffe gechartert werden, die oft unter indischer Flagge fahren“, erklärt Bruns. „Diese Schattenflotte wird dann genutzt, um Erdöl auszuführen.“
Spätestens nach der Sabotage der Nord-Stream-Gaspipelines, im Zuge dessen nach einem Ukrainer gefahndet wird, ist klar: Längst haben auch andere Länder die Ostsee und ihr Destabilisierungs-Potenzial für sich entdeckt. Und auch die chinesische Marine ist in den Gewässern präsent. So wurde etwa ein chinesisches Schiff verdächtigt, hinter dem jüngsten beschädigten Datenkabel zwischen Finnland und Schweden zu stecken. In diesem Fall waren zwar letztlich Bauarbeiten der Auslöser, unter den Nato-Staaten herrscht dennoch Nervosität.
Boris Pistorius wirbt gleichzeitig auch für ein besonnenes Vorgehen. Die Deutsche Marine und ihre Partner verhalten sich „sehr umsichtig und vorausschauend“, sagt er. Stets Deeskalation, keine Provokation. Und ein wenig Hilfe von Freunden.