Das hat in der westlichen Welt wirklich fast niemand kommen sehen: Binnen weniger Tage ist das Regime des syrischen Diktators Baschar al-Assad, der in 13 Jahren Bürgerkrieg mit unvorstellbarer Brutalität seine Macht zementiert hatte, geradezu implodiert. Keiner hatte den Arabischen Frühling 2011 brutaler niedergeschlagen. Assad verwüstete die eigenen Städte, tötete Hunderttausende und vertrieb rund 14 Millionen seiner Bürger. Nicht einmal vor dem Einsatz von Giftgas gegen das eigene Volk schreckte er zurück. Nun ist alles anders: Was als regionaler Aufstand einer hierzulande nur Experten bekannten Gruppe begann, endete in der geradezu panischen Flucht des skrupellosen Machthabers. Sein Ende ist zunächst einmal eine der besten Nachrichten in diesem so trüben Jahr.
Aber ist es auch ein Grund zum Feiern?
Diese Revolution im Herzen des Mittleren Ostens zeigt, wie rasant sich die Machtverhältnisse in der ganzen Region verschieben. Da wäre zunächst die russische Schwäche: Ab 2015 hatten Wladimir Putins Bomber Assad die Macht gesichert und mit ihren Attacken auf Schulen und Krankenhäuser unvorstellbares Leid unter die Zivilbevölkerung gebracht. Auch die Wagner-Söldner kämpften hier. Ganz offensichtlich haben sich Moskaus Prioritäten mit dem Einmarsch in der Ukraine wieder mehr nach Europa verlagert, viele Truppen wurden aus Syrien abgezogen. Trotzdem endeten damit nicht Putins Großmachtfantasien und sein Anspruch, auch im arabischen Raum als globale Ordnungsmacht mitzubestimmen. Deshalb ist das schmähliche Ende seines syrischen Verbündeten auch für Putin persönlich ein peinlicher Rückschlag.
Eine der großen Fragen der nächsten Tage wird nun sein, wie sich Recep Tayyip Erdogan verhält. Der türkische Präsident hatte die Rebellen unterstützt, weil er auf eine neue Ordnung in Damaskus hofft, damit möglichst viele der drei Millionen syrischen Flüchtlinge aus der Türkei zurückkehren. Nicht nur in Deutschland ist die Migration ein großes Thema, auch in der Türkei muss sich der Präsident viel Kritik deshalb anhören. Es liegt auch an Erdogan, ob bei der Neuordnung Syriens russische Interessen berücksichtigt werden, allen voran auf den Militärstützpunkten im Land. Spannungen zwischen Moskau und Ankara könnten sich bis in die Ukraine auswirken, wo die Türkei als Vermittler fungiert hat, beispielsweise bei den Getreideabkommen.
Zweiter großer Verlierer des Assad-Sturzes ist der Iran: Syrien galt als wichtiger Korridor für das Mullah-Regime bei der Unterstützung der Hisbollah-Miliz im Libanon. Deren Widerstand gegen den verhassten Erzfeind Israel ist bereits nach den Schlägen der Israelis gegen ihre Kommandostruktur stark geschwächt. Nun hatten weder Teheran noch die Hisbollah die Kraft, Assad zu Hilfe zu kommen.
Wohin Syrien nun treibt, ist völlig offen. Das Land erlebt seine Stunde Null, auf den Straßen wird über Religionen und Konfessionen hinweg gefeiert. Ob der angeblich geläuterte Extremist Abu Mohammed al-Dscholani aber ein freies Land aufbaut, in das auch viele der eine Million nach Deutschland geflohenen Syrer zurückkehren könnten, muss man bezweifeln. Man erinnert sich an Irak oder Libyen, wo der Sturz von Diktatoren in neuen Kämpfen und Chaos endete. Überall im Land gibt es Waffen, auch chemische. Dass sie schweigen, ist leider unwahrscheinlich.