Mit dem Bild Erdogans feiern diese Syrer den überraschenden Sturz des Assad-Regimes. © afp
Istanbul – Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat schon vor dem Sturz von Baschar al-Assad keinen Hehl daraus gemacht, auf welches Pferd er setzt. Er hoffe, sagte er noch am Freitag, dass die Rebellen bis nach Damaskus marschieren. Nun scheint die Türkei eine Gewinnerin der Ereignisse zu sein.
Der 70-jährige Erdogan, selbst mehr als 20 Jahre an der Macht, blickt auf ein turbulentes Verhältnis mit Assad zurück. Verbrachten die beiden noch 2008 gemeinsam mit den Familien ihre Ferien im türkischen Bodrum, änderte sich das Verhältnis schlagartig nach Beginn des Bürgerkriegs 2011. Erdogan nannte Assad nunmehr einen „Mörder“, unterstützte Rebellengruppen und nahm mehr als drei Millionen syrische Flüchtlinge in seinem Land auf. Wegen der Flüchtlinge ist Erdogan innenpolitisch unter Druck geraten.
Er verfolgt zwei Hauptziele in Syrien, die sich nach Assads Sturz wohl leichter erreichen lassen: Eine Rückkehr der geflüchteten Syrer und die Schwächung kurdischer Milizen – samt der ungeliebten kurdischen Autonomieregion im Nordosten Syriens.
Die Rebellenoffensive gegen Assad wurde von der islamistischen Gruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS) angeführt. Die Türkei dementiert, etwas damit zu tun zu haben. Beobachter im Land gehen aber davon aus, dass Ankara zumindest grünes Licht gegeben hat. Offiziell unterstützte das Nato-Land Türkei die Rebellengruppe Syrische Nationale Armee (SNA). Die HTS ist auch in der Türkei als Terrororganisation gelistet, sie koordiniert sich Experten zufolge aber mit den SNA-Rebellen und dem türkischen Militär. Zudem hat Ankara jahrelang Hilfsgüter in die von der HTS kontrollierte Region Idlib geschickt.
Die Türkei habe gewusst, dass in Syrien etwas vor sich ging, räumte Außenminister Hakan Fidan am Wochenende ein. Der türkische Analyst Fehim Tastekin sieht engere Verbindungen und sagt: „Die HTS wurde jahrelang von der Türkei unterstützt, geschützt und begünstigt.“ Fraglich sei jedoch, wie stark der Einfluss Ankaras in Zukunft auf die Islamisten sei, denn die HTS befreie sich schrittweise von ihrer Abhängigkeit, so Tastekin.
In jedem Fall wird die Türkei nach Einschätzung des Experten Ömer Özkizilcik von der Denkfabrik Atlantic Council zum einflussreichsten ausländischen Akteur im Nachbarland. „Die Türkei wird die aktuelle Situation in Syrien wahrscheinlich nutzen, um effektiver mit Moskau und Teheran zu verhandeln“, schreibt er. Eine US-Regierung unter Donald Trump, die einen Rückzug der US-Truppen aus Syrien anstrebe, müsse mit der Türkei zusammenarbeiten.
Noch halten die USA ihre schützende Hand über die von der Kurdenmiliz YPG angeführten Syrischen Demokratischen Kräfte, die große Gebiete in Nordostsyrien kontrolliert. Während die YPG für die USA ein wichtiger Partner im Kampf gegen den Islamischen Staat in Syrien ist, sieht die Türkei die Miliz als Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK – und damit als Terrororganisation.