Zurück in die Heimat: Syrer warten am Grenzübergang in der Nähe von Kilis darauf, von der Türkei nach Syrien zu gelangen. Dort bleibt die Lage jedoch unübersichtlich. © Ahmed Deeb/dpa
Kilis – Seit dem Umsturz in Syrien klingelt das Telefon von Umzugsunternehmer Salah Muhammad pausenlos. Auf Facebook wirbt der 33-Jährige seit ein paar Tagen mit einem Umzugsservice von der Türkei nach Syrien. Mehr als hundert Anfragen bekomme er pro Tag. Das Ende der jahrzehntelangen Herrschaft der Assad-Familie und die damit verbundene Hoffnung, in ihre Heimat zurückkehren zu können, bewegt auch viele der rund drei Millionen als Flüchtlinge registrierten Syrer in der Türkei dazu, ihr Leben hier hinter sich lassen zu wollen.
Muhammad Dahman kann es kaum erwarten, die Türkei zu verlassen. Der Familienvater ist vollbepackt mit seiner Frau und seinen vier Kindern aus Istanbul an die Grenze zu Syrien gereist. Am Übergang Öncüpinar in der südtürkischen Provinz Kilis erzählt der desertierte Soldat, ihn halte nichts in der Türkei. Er wolle zurück in sein Land und es wieder aufbauen. Mit seiner Ausreise verwirkt er sein Aufenthaltsrecht und kann erst einmal nicht in die Türkei zurückkehren, aber das ist ihm egal.
Ein lokaler Beamter sagte, am Montag, am ersten Tag nach Baschar al-Assads Sturz hätten etwa 700 Menschen hier die Grenze passiert, danach habe die Zahl abgenommen. Medien berichten von etwa 1000 Menschen täglich an anderen Grenzposten. Die Türkei beherbergt so viele Flüchtlinge wie kein anderes Land, drei Millionen. Die Stimmung in der Gesellschaft ist lange gekippt. Syrer sehen sich scharfen Anfeindungen ausgesetzt, und eine überwiegende Mehrheit der Türken forderte bereits vor dem Sturz Assads, dass sie das Land verlassen. Mehrfach kam es bereits zu Ausschreitungen, bei denen Einrichtungen, Wohnungen und Autos von Syrern angegriffen wurden. Auch deshalb hatte die Türkei die Rebellen bei ihrem Vormarsch unterstützt.
Politiker aus Regierung und Opposition machen sich die flüchtlingsfeindliche Stimmung im Land nach dem Machtwechsel in Syrien nun erneut zunutze. Der Bürgermeister der Gemeinde Keciören etwa postete auf X die Aufforderung: „Syrischer Bruder! Kehre jetzt aus unserem Keciören in deine Heimat zurück“, die Gemeinde würde für die Kosten aufkommen. Der türkische Innenminister Ali Yerlikaya erklärte, man wolle die Kapazität an den Grenzübergängen aufstocken, sodass täglich bis zu 20000 Syrer abgefertigt werden könnten. Doch ob so viele überhaupt das Land verlassen wollen, ist fraglich.
Migrationsforscher Murat Erdogan hält die Aussagen für gefährlich. Es werde die Illusion kreiert, dass nun alle Syrer das Land verlassen würden. „Realistisch gesehen wird die Mehrheit in der Türkei bleiben“, sagt Erdogan. Mit dem Sturz von Assad hat seine brutale Herrschaft in Syrien ein Ende genommen. Die schlechte wirtschaftliche Lage und die Unsicherheit in Syrien existierten aber weiter. Außerdem hätten viele in Syrien alles verloren und sich in der Türkei ein neues Leben aufgebaut.
Die Lage in der Türkei ist weiter unübersichtlich: Nach dem Rückzug der Assad-Truppen ringen verbleibende Milizen weiterhin um die Kontrolle. In der wichtigen nordsyrischen Stadt Manbidsch kämpften Türkei-nahe Milizen bis zuletzt mit Kurdenmilizen, die von den USA unterstützt werden. Der Kommandeur der kurdisch angeführten SDF, Maslum Abdi, kündigte nach einer Waffenruhe mit den Türkei-nahen Kämpfern seinen Rückzug an. Hier und in anderen Landesteilen könnte es aber weitere Kämpfe geben.
Die Türkei will die Kurdenmilizen Experten zufolge östlich des Flusses Euphrat drängen, möglicherweise für einen weiteren Vormarsch der protürkischen Gruppen bis zur syrisch-kurdischen Grenzstadt Kobane. Die Kämpfe auch nach dem Sturz Assads zeigen, dass viele Gebiete Syriens außerhalb der Kontrolle der Islamistengruppe HTS bleiben, die Assads Regierung nach einer Blitzoffensive stürzte. Regierungschef Mohammed al-Baschir kündigte trotzdem eine Rückkehr zur Normalität an. Sicherheit und Stabilität solle in allen Städten des Landes wiederhergestellt werden.