Ein israelisches Militärfahrzeug in der Pufferzone auf den von Israel annektierten Golanhöhen. © AFP
Tel Aviv/Damaskus – Während viele Syrer nach dem Umsturz auf eine bessere Zukunft hoffen, rechnet Israel offenbar mit dem Schlimmsten. „Die israelische Regierung geht von einem Worst-Case-Szenario aus“, sagt der Nahost-Experte Yossi Mekelberg von der Londoner Denkfabrik Chatham House. Das sei der Grund für die massiven Angriffe der israelischen Luftwaffe auf syrische Militäreinrichtungen.
Der langjährige Machthaber Baschar al-Assad war ein enger Verbündeter vom Iran und der libanesischen Hisbollah-Miliz. Dennoch hielt der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu Analysten zufolge seine Herrschaft für die am wenigsten schlechte Option – aus Angst, dass das Nachbarland ohne Assad ins Chaos stürzen würde. Nach dem Sieg der islamistischen Kämpfer am Wochenende befürchtet Israel offenbar, dass genau dieses Chaos eingetreten ist.
Netanjahu erklärte das Waffenstillstandsabkommen mit Syrien von 1974 für ungültig und befahl seinen Truppen, in die von UN-Blauhelmen überwachte Pufferzone auf den Golanhöhen einzudringen. Israel flog in den ersten drei Tagen seit Assads Sturz rund 480 Angriffe in Syrien und nahm dabei militärische Ziele von Chemiewaffenlagern über Flugabwehrbatterien bis hin zur syrischen Flotte ins Visier.
„Alles, was in Syrien strategisch wichtig ist – Raketen, Flugzeuge sowie das wissenschaftliche Forschungszentrum, alles wird von Israel bombardiert werden“, sagt der Nahost-Experte Danny Citrinowicz. „Denn wir wissen nicht, wer uns auf syrischer Seite begegnen wird, ob es al-Qaida ist, der Islamische Staat oder eine andere Gruppe. Also müssen wir bereit sein, unsere Zivilbevölkerung zu schützen.“
Die UNO appellierte an Israel, die Angriffe zu stoppen und seine Truppenbewegungen in Syrien zu beenden. Auch Frankreich forderte Israel auf, sich aus der Pufferzone zurückzuziehen und die „Souveränität und territoriale Integrität Syriens zu respektieren“. Die USA als wichtigster Partner Israels mahnten, der Einmarsch müsse „zeitlich begrenzt“ sein.
Die größte Sorge bereiteten Israel die verbliebenen Bestände der syrischen Armee an chemischen und strategischen Waffen, sagt Aviv Oreg, ein ehemaliger Offizier des militärischen Nachrichtendienstes. Er weist auf die dschihadistische Vergangenheit einiger der am Umsturz beteiligten Islamistengruppen hin. „Wenn solche Waffen in ihre Hände fallen, wer weiß, was sie damit anstellen werden“, warnt er.
Nahost-Experte Yossi Mekelberg äußert hingegen Zweifel an der israelischen Militärstrategie. „Das ist nicht gerade der beste Weg, um Brücken zur neuen Regierung zu bauen“, sagt er mit Blick auf die massiven Luftangriffe.
DANIEL CAPURRO