Jetzt in Freiheit? FDP-Chef Christian Lindner. © Charisius/dpa
Ein historischer Tag: Heute stellt der Kanzler im Bundestag die Vertrauensfrage, will damit Neuwahlen einleiten. Sein Ex-Regierungspartner Christian Lindner hatte das Ampel-Aus mit der Forderung einer entschlossenen Kurswende eingeleitet, wurde entlassen. Wir haben mit dem FDP-Chef über die aktuelle Krise – auch seiner Partei – gesprochen.
Die große Mehrheit der Deutschen freut sich, dass Sie der Ampel den Stecker gezogen haben, aber im Ranking sind Sie nun der unbeliebteste Politiker, gleichauf mit Chrupalla hinter Weidel und Wagenknecht. Fühlen Sie sich ungerecht behandelt?
Wir erleben eine harte Machtauseinandersetzung. Die FDP mit mir als ihrem Vorsitzenden steht den linken Parteien im Weg, wenn es um die Bildung einer neuen Bundesregierung geht. Mit der FDP im Bundestag gibt es zum Beispiel keine schwarz-grüne Mehrheit. Klar, dass politische Gegner dann Kampagne gegen meine Partei und mich machen.
Hat es nicht doch auch mit Führungsversagen zu tun, dass die FDP so schlecht dasteht?
Ich empfehle, dass wir uns an den Tatsachen orientieren. Die FDP hat im Herbst der Entscheidungen neue Politik oder Neuwahlen verlangt, denn angesichts der sich zuspitzenden Wirtschaftskrise war Nichtstun keine Option. Ich habe dem Kanzler genau das angeboten: entweder Wirtschaftswende oder geordnete Neuwahlen. Olaf Scholz hat mich stattdessen ultimativ aufgefordert, 15 Milliarden Euro neue Schulden aufzunehmen, an der Schuldenbremse vorbei, um seine alte Politik fortzusetzen. Als ich mich geweigert habe, hat er mich entlassen. Danach begann eine Deutungsschlacht um das Ampel-Aus, die uns in die Defensive gebracht hat.
Haben Sie Ihren Ex-Minister Volker Wissing bei den Indiskretionen im Verdacht?
Ich belaste mich nicht mit Verdächtigungen oder Groll.
Mitten im medialen Sturm hinein haben Sie Ihre Gegner noch provoziert: mit dem Satz, Deutschland solle ein bisschen mehr Milei und Musk wagen. Sie scheinen voll durchziehen zu wollen. Ist das die Aiwanger-Strategie?
Deutschland steht auf der Kippe. Dazu schweige ich nicht. Wir sind bedroht von einem wirtschaftlichen Abstieg, der zehntausende Jobs kostet und den Lebensstandard der Menschen bedroht. Hinzu kommt: Unsere Gesellschaft ist sehr polarisiert. Die Menschen haben den Eindruck, dass sich der Staat in alles einmischt, aber seine Kernaufgaben – Ordnung der Einwanderung, äußere und innere Sicherheit, Bildung, Infrastruktur – vernachlässigt. Deswegen mein Weckruf: In diesem Land muss sich Grundlegendes verändern.
Sie reden so, als hätten Sie nichts damit zu tun gehabt die letzten Jahre!
Ich habe in der Ampel nach Kräften daran gearbeitet, den Trend umzukehren. Aber das langte nicht. Denn die aktuellen Herausforderungen rühren von Entscheidungen der letzten 15 Jahre. Unser Land ist inzwischen bürokratisch gelähmt, der Staat nimmt den Menschen zu viel von ihrer finanziellen Freiheit, und wir sind in der Klimapolitik grün statt smart unterwegs.
Sie wollen in eine Regierung mit der Union. Welche Ihrer Ampel-Gesetze würden Sie konkret im ersten halben Jahr mit Inbrunst rückabwickeln?
Wir wollen nach vorne verbessern. Wir brauchen einen breitflächigen, radikalen Abbau von Bürokratie: Weg mit dem deutschen Lieferkettengesetz, das Arbeitszeitrecht massiv entschlacken, Berichtspflichten weitgehend aufheben. Auch ganze Behörden wie das Umweltbundesamt können entfallen, wenn deren Aufgaben auf andere aufgeteilt werden. Wir brauchen steuerliche Entlastung. Den Zuschlag für die Überstunde will ich steuerfrei stellen und den Grundfreibetrag deutlich erhöhen. Das erhöht den Abstand zwischen Bürgergeld und dem Lohn in noch nicht so gut bezahlten Jobs. Der Solidaritätszuschlag muss entfallen, weil er eine Strafsteuer auf Qualifikation und unternehmerische Risikobereitschaft ist. Ich habe als Minister noch berechnet, dass das alles finanzierbar ist.
Ihr Wunschpartner Union liebäugelt mit Grünen und SPD. CDA-Chef Radtke rät seiner Partei sogar davon ab, mit den angeblich nicht verlässlichen Liberalen zu koalieren.
Der Kollege scheint ein sehr roter Christdemokrat zu sein, daher überrascht mich das nicht. Die CDU nimmt ja gern die Farbe ihrer Koalitionspartner an, das wäre bei Schwarz-Grün genauso. Das Beste für Deutschland wäre momentan eine Koalition der Mitte aus Union und FDP.
Reicht halt nicht mit vier Prozent für die FDP. Da müssen Sie noch zulegen.
Wir standen am Sonntag schon wieder bei 5. Eine schwarz-gelbe Regierungsmehrheit ist erreichbar. Union und FDP könnten schließlich Wähler der AfD oder der Freien Wähler zurückgewinnen, die nur gegen irreguläre Einwanderung, grüne Klimapolitik und überbordende Bürokratie protestieren wollen. Stattdessen macht die Union leider das Gegenteil, nämlich Offenheit für Wirtschaftsminister Habeck im Kabinett Merz, Offenheit für Steuererhöhungen und Offenheit für neue Schulden.
Der Kanzler stellt heute die Vertrauensfrage. Redet Scholz eigentlich noch mit Ihnen?
Ich habe keinen aktuellen Gesprächsbedarf.
Eine kleine SMS hier und da?
Es ist alles gesagt. Sie haben gehört, wie Herr Scholz öffentlich über mich gesprochen hat. Ich habe das auch.
Bayerns FDP stellt am 21. Dezember ihre Liste auf. Wünschen Sie sich, dass zugkräftige Namen wie der von Susanne Seehofer weit vorne stehen?
Wir haben starke Landesvorsitzende mit Katja Hessel und Martin Hagen, aber auch spannende neue Persönlichkeiten. Ich hoffe, dass die von mir geschätzte Susanne Seehofer auf einem aussichtsreichen Platz kandidieren wird.