KOMMENTARE

Ein unwürdiger Kanzler-Auftritt

von Redaktion

Scholz ohne Vertrauen

„Mehr Fortschritt wagen“ – so hatten Sozialdemokraten, Grüne und Liberale im Dezember 2021 ihren Koalitionsvertrag überschrieben. Was ein Aufbruch werden sollte, endete gestern – mit wochenlanger Verspätung – im kalkulierten Zusammenbruch. Der Kanzler bat im Bundestag die Abgeordneten darum, ihm das Misstrauen auszusprechen. Das war genauso verquer, wie sein Bündnis in den vergangenen drei Jahren regiert hatte. In Erinnerung bleiben nicht pragmatische Lösungen von Problemen (die es durchaus gab), sondern vor allem strategische Spielchen und Streit. Das Land hat genug davon.

Sollte es noch einen Grund gebraucht haben, warum man dem Kanzler Scholz das Vertrauen entziehen musste – er lieferte ihn mit seiner Rede im Bundestag. Grotesk, wie der Kanzlerkandidat Scholz gnadenlos mit dem abrechnete, was der Politiker Scholz seit 2018 erst als Vizekanzler, dann als Kanzler (mit) zu verantworten hat. Stillos, wie er gegen den Ex-Partner FDP holzte, dem er die „sittliche Reife“ zum Regieren absprach. Und dazu wiederholte er „bewusst“ seine Erzählung, die Union plane eine „Rentenkürzung“ – obwohl eine gesetzliche Schutzklausel dies verbietet. Friedrich Merz bezichtigte Scholz zu Recht der Lüge. Wer sich, wie die SPD, moralisch gerne über andere erhebt, von „Respekt“ spricht und sich über die (dumme) Wortwahl von der „offenen Feldschlacht“ echauffiert, sollte die eigenen Maßstäbe schon erfüllen.

Natürlich: Wahlkampf ist keine Zeit für zarte Gemüter. Aber Friedrich Merz bewies gleich nach Scholz, wie man knallhart in der Sache und auch gegen Persönlichkeiten argumentiert, ohne Grenzen zu übertreten. Und Robert Habeck wies zu Recht darauf hin, dass einzelne Beteiligte nach der Bundestagswahl bald wieder gemeinsam regieren und dabei „über ihren Schatten springen“ müssten. Scholz, der schon klargemacht hat, nicht als Vizekanzler in eine neue Koalition einzutreten, ist das offensichtlich egal. Er kämpft nur für sich.

Die Lehre aus dieser Debatte? Die Koalitionsfindung könnte sehr schwierig werden. Für einen Kanzler Scholz sowieso, aber auch für einen Kanzler Merz. AfD und BSW sind ausgeschlossen, bei den Grünen stellt sich CSU-Chef Markus Söder kategorisch quer. Um mit der FDP auf eine Mehrheit zu kommen, müsste noch ein kleines politisches Wunder geschehen. Die SPD aber, die mit einem Programm der Umverteilung antritt, das den Reformbedarf des Landes weitgehend ignoriert, legt schon jetzt die Messlatte so hoch, dass am Ende der ganz kleine politische Nenner droht. Das aber ist das Letzte, was Deutschland jetzt braucht.


MIKE.SCHIER@OVB.NET

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