Diktator Kim vor nordkoreanischen Soldaten: Nutzt er den Moment der Schwäche im Süden? © afp
Seoul – Nordkoreas Staatspresse wartete ein paar Tage, ehe sie auf das reagierte, was südlich der Grenze geschehen war. Mitte letzter Woche dann stöhnte die Nachrichtenagentur KCNA über den „schockierenden Vorfall“ um das „Marionettenregime von Yoon Suk-yeol“, das plötzlich „Chaos in ganz Südkorea angerichtet hatte“. Später legte KCNA nach: Yoon habe gelogen, als er die Ausrufung des Kriegsrechts mit einer Bedrohung aus dem Norden begründet hatte.
Der Hintergrund: Am 3. Dezember hatte Yoon Suk-yeol – damals noch Südkoreas Präsident – das Kriegsrecht ausgerufen, weil die liberale Opposition angeblich von pro-nordkoreanischen Kräften durchsetzt sei. Doch Yoons Versuch, aus Südkorea eine Diktatur zu machen, scheiterte binnen Stunden. Seither befindet sich das Land in einer Staatskrise, die auch nach Yoons Absetzung nicht ausgestanden ist. Zur Sorge um die Demokratie kommt eine weitere hinzu: Manche fürchten, Nordkorea könnte diesen verwundbaren Moment für einen Angriff nutzen.
Hinweise gäbe es: Im November rief Kim Jong-un sein Militär auf, sich „auf die Vollendung der Kriegsvorbereitungen“ zu fokussieren. Im selben Monat wurde in den USA ein Chinese festgenommen, der offenbar Gewehre, Munition und Militäruniformen nach Nordkorea schicken wollte, um einen Angriff auf den Süden zu unterstützen. Hinzu kommt die Entsendung nordkoreanischer Soldaten in den Ukraine-Krieg. Der Einsatz könnte Trainingswirkung haben.
Moon Chung-in, emeritierter Politikprofessor an der Yonsei Universität in Seoul, glaubt dennoch nicht daran. „Nordkorea wird Südkorea nicht angreifen. Aber es kann passieren, dass es zu Eskalationen kommt.“ An der hochbewaffneten innerkoreanischen Landgrenze könnte Pjöngjang demnach im schlimmsten Fall taktische Atomwaffen nutzen. Dann hinge es auch von der Reaktion Südkoreas und der USA ab, ob ein Krieg ausbräche.
Pjöngjang zieht es aber vor abzuwarten. Die Lage ist auch deshalb so angespannt, weil Yoon auf Konfrontationskurs gegenüber dem Norden war. Zuletzt hatte er als Reaktion auf die Entsendung nordkoreanischer Soldaten angekündigt, die Ukraine künftig mit Waffen zu unterstützen. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte wiederum gedroht, in diesem Fall Nordkorea stärker militärisch zu unterstützen.
Das Szenario ist aber unwahrscheinlicher geworden. Sollte bei Neuwahlen, wie erwartet, die liberalere Demokratische Partei gewinnen, würde es wohl auch zu keinen Waffenlieferungen kommen. Stattdessen könnte sogar eine neue Phase der Entspannung zwischen Nord- und Südkorea beginnen. Unterstützung könnte dann vom künftigen US-Präsidenten Donald Trump kommen, der schon in einer ersten Amtszeit den Kontakt mit Nordkoreas Kim Jong-un suchte. Nur wären die Vorzeichen jetzt andere: Mit Russland hat Nordkorea einen mächtigen Freund. So wird man in Pjöngjang mit viel Selbstvertrauen auftreten.
FELIX LILL