Eine Schrecksekunde in Sachsen

von Redaktion

Kretschmer schafft‘s in Wahlgang 2: AfD versucht Manöver für Freie Wähler

Dresden/München – Mensch, Ministerpräsident: Als das Wahlergebnis verkündet wird, sieht man einen sehr aufgeregten Michael Kretschmer im Landtag sitzen. Seine Finger trommeln nervös auf der Tischplatte, er beugt sich zu einer Parteifreundin und fragt, ob sie schnell noch einen Keks für ihn habe. Der Keks muss dann noch einen Moment warten, denn in der nächsten Sekunde muss Kretschmer schon aufstehen: „Ich nehme die Wahl an.“

Die Nervosität ist erklärbar. Denn Sachsen war nahe dran an einem Coup, am Sturz des CDU-Ministerpräsidenten; näher, als das nackte Abstimmungsergebnis glauben lässt. Im zweiten Wahlgang, nach seinem klaren Scheitern im ersten, ist Kretschmer mit 69 von 120 Stimmen im Amt bestätigt worden. Wer genau für wen stimmte, ist in der geheimen Wahl nicht nachvollziehbar. Sollte Kretschmer alle 51 Stimmen seiner Minderheits-Koalition aus CDU und SPD erhalten haben, kamen also 18 Stimmen aus mutmaßlich Linken, vielleicht BSW und Grünen kurzfristig hinzu.

Spannend ist das, wenn man auf die Gegenkandidaten blickt: Im zweiten Wahlgang schwenkte die AfD fast geschlossen und unangekündigt um, stimmte nicht mehr für den eigenen Ministerpräsidenten-Kandidaten und Fraktionschef Jörg Urban – sondern für den Freien Wähler Matthias Berger, einen Einzelabgeordneten ohne Fraktion. Er hatte angeboten, unter seiner Führung eine siebenköpfige Expertenregierung aus allen im Landtag vertretenen Fraktionen zu bilden, und versuchte so, Stimmen von Linken und BSW zu ziehen. 39 Stimmen holte der frühere Kommunalpolitiker Berger damit überraschend; sieben Abweichler von Linken oder BSW, und er wäre jetzt Regierungschef – der AfD-Geheimplan wäre dann voll aufgegangen. Die ganze Republik vermutlich in wüste Debatten gestürzt wie 2020 nach der Thomas-Kemmerich-Wahl in Thüringen. Denn Bergers Freie Wähler sind explizit gegen „Brandmauern“ zur AfD.

Für Kretschmer gilt nun: Wahl überstanden, Zukunft dennoch ungewiss. Im nächsten Schritt wird er seine Ministerliste vorlegen. Laut Koalitionsvertrag besetzt die CDU acht Posten, die Namen sind noch nicht benannt. Die zwei SPD-Minister werden Petra Köpping (Soziales, Gesundheit) und Dirk Panter (Wirtschaft, Energie) sein. Dieses Kabinett muss sich aber im Landtag von Tag zu Tag eine Mehrheit suchen. Gleich in seiner Antrittsrede appelliert Kretschmer an die Geschlossenheit im Parlament, dankte einer „verantwortungsvollen Opposition“ und sagte: „Wir können viele Herausforderungen meistern, wenn wir zusammenhalten.“

Vom BSW, das aus den Sondierungen mit CDU und SPD ausgestiegen war, gab es zumindest vielsagende Geschenke für Kretschmer zur Wahl: ein Buch von Parteichefin Wagenknecht („Die Selbstgerechten“) und ein Nudelholz.
CD

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