Mehr Schutz für Karlsruhe

von Redaktion

Das Bundesverfassungsgericht besteht aus zwei Senaten mit jeweils acht Richtern – damit das so bleibt, wird die Struktur nun im Grundgesetz festgehalten. © Uli Deck/dpa

München/Berlin – Selten waren sich die Parteien im Bundestag so einig. Auf den letzten Metern hat die gescheiterte Ampel mit der Union noch eine breite Mehrheit für ihr Gesetzesvorhaben eingeholt: Das Bundesverfassungsgericht soll besser vor politischer Einflussnahme geschützt werden. Dafür soll nun das Grundgesetz geändert werden. Nur die AfD und das BSW stimmten am Donnerstag gegen das Gesetz – weil sie Manipulation wittern.

■ Was genau wird geändert?

Die Strukturen des Verfassungsgerichts werden künftig im Grundgesetz verankert. Dabei geht es zum Beispiel darum, wie viele Richter es gibt, wie lange sie im Amt bleiben und wie sie gewählt werden, sagt der Verfassungsrechtler Walther Michl von der Universität der Bundeswehr München. „Bislang sind diese Fragen größtenteils in einem einfachen Gesetz geregelt.“ Deshalb könnte derzeit bereits eine einfache Mehrheit im Bundestag den Aufbau des Karlsruher Gerichts verändern. In Zukunft soll es hingegen eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat brauchen, um am Verfassungsgericht zu rütteln.

■ Warum kommt die Änderung jetzt?

Weil die Parteien aus der Mitte ein Erstarken populistischer Kräfte befürchten. Polen und Ungarn gelten als Negativ-Beispiele. Die nationalkonservative PiS, die in Polen bis 2023 regierte, hatte das polnische Verfassungsgericht gekapert und zu einem Werkzeug für ihre politische Agenda degradiert: Die Regierung konnte unter anderem den Präsidenten des Verfassungsgerichts ernennen und entlassen und schwächte somit die Gewaltenteilung zwischen Gesetzgebung und Justiz. Auch in Ungarn steht Ministerpräsident Viktor Orbán unter dem Verdacht, die Unabhängigkeit der Justiz einzuschränken. „Die Sorge ist, dass eine stärkere AfD versuchen könnte, die Verfassungsgerichtsbarkeit ähnlich zu schwächen“, erklärt Michl.

■ Welche Szenarien werden hierzulande befürchtet?

Derzeit besteht das Bundesverfassungsgericht aus zwei Senaten mit jeweils acht Richtern. „Die Sorge ist, dass eine stärkere AfD beispielsweise einen dritten Senat schaffen könnte, diesen mit einer einfachen Mehrheit besetzt und ihm zentrale Zuständigkeiten überträgt“, sagt der Jurist. Dieser Senat könnte dann ausschließlich aus Richtern bestehen, die der AfD nahestehen. „Dadurch könnten die Populisten das Gericht manipulieren und zu ihren Gunsten instrumentalisieren.“ Um so ein Szenario zu verhindern, wird der derzeitige Aufbau des Gerichts im Grundgesetz geschützt.

In einem anderen Szenario könnten populistische Kräfte die Wahl von Verfassungsrichtern blockieren. Derzeit wird die eine Hälfte der Richter von einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag und die andere von einer Zweidrittelmehrheit im Bundesrat gewählt. Mit einer Sperrminorität (also wenn etwa AfD und BSW über mehr als ein Drittel der Mandate verfügen) könnte die Wahl der Richter verhindert werden – das Verfassungsgericht wäre dann praktisch lahmgelegt. „Dafür wurde nun die sogenannte Ersatzwahlmöglichkeit ins Grundgesetz aufgenommen“, sagt Michl. „Wenn der Bundestag bei seiner Wahl blockiert ist, kann der Bundesrat die Wahl übernehmen. Das ist eine Vorsichtsmaßnahme, um zu verhindern, dass das Gericht handlungsunfähig wird.“

■ Wie dringend sind diese Maßnahmen?

„Angesichts der aktuellen Umfragewerte halte ich diese Vorsichtsmaßnahme für wichtig“, meint Michl. „Es ist durchaus realistisch, dass AfD und BSW gemeinsam über ein Drittel der Bundestagssitze erreichen könnten.“ Nachdem die AfD im September bei der Thüringen-Wahl stärkste Kraft geworden war, warnte auch der Deutsche Richterbund: „Mit Blick auf die jüngsten Wahlergebnisse ist es dringender denn je, die Unabhängigkeit der Justiz in Bund und Ländern besser gegen gezielte politische Eingriffe durch illiberale, extremistische Kräfte zu sichern.“

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