KOMMENTARE

Der singende Söder und seine Strategie

von Redaktion

Politik für Social Media

Einen halben Adventstag hat Markus Söder im Tonstudio verbracht, ein sehr deutsches Weihnachtslied eingesungen und am 24. online publiziert. Höflich formuliert: etwas schwülstig, stimmlich an Grenzen stoßend und mit Textzeilen wie „Wir fühlen uns ganz / wie Gretel und Hans“. Der erste Gedanke ist, wie bei Söder zuletzt mehrfach, dass sich da einer im Ego-Schub fürs Netz zum Trottel macht. Und dieser Gedanke greift zu kurz.

In der digitalen Parallelwelt geht Söders Strategie – ja, es ist eine – weitgehend auf. Was er dort an Inszenierung bietet – singend, foodbloggend, mit Söder-Pullis und -Lebkuchen –, schafft enorme Reichweiten. Und das jenseits der politischen Blase, bei Menschen, die sich nicht mehr in klassischen Formaten über Politik informieren (oder nirgends mehr), am 23. Februar aber auch eine Stimme haben. Früher haben die Volksparteien den „vorpolitischen Raum“ zu bespielen versucht in Vereinen, Feuerwehr, Kirchen. Jetzt ist ein weiterer halb politischer Raum, in dem Politik präsent sein muss, das Netz. Bisher ist da zu viel Raum für Radikale. Beispiel Tiktok: Eine Studie der Uni Potsdam ergab jüngst, dass die AfD dort dank Präsenz und Aufregungs-Algorithmus doppelt so erfolgreich auftritt wie alle (!) anderen Parteien zusammen. Söder versucht, dem etwas entgegenzusetzen. Feuilletonistisch mag man das peinlich finden. Wohlwollendere sagen: Er ist der Einzige in Reihe eins, der Social Media verstanden hat und politische Inhalte (Reichweite: mäßig) digital ungefähr hälftig kombiniert mit Personality (Klickzahlen Weihnachtslied: vier Millionen). Er hat sich seine Kanäle über Jahre bewusst aufgebaut. Habeck ging zwischendurch mal raus; Scholz lässt seine Aktentasche abfotografieren.

Das hat Risiken, erneut siehe Söder. Die Grenze, was Regierungsarbeit (also voll steuerfinanziert) ist und was Eigen-PR, die verwischt. Und: Je schneller und schriller er Botschaften sendet, desto häufiger kollidieren sie. Beispiel Warschau im Dezember: seine Geste auf einem Knie am Denkmal der ermordeten Juden, sehr ernst, doch Minuten später am Weihnachtsmarkt ein senftriefendes Bratwurstfoto für Insta. Das klickt. Aber manche verstört es auch.

Die Folgefrage ist deshalb nicht, ob Politiker online präsenter sein müssen – sondern wie sie den Grat zwischen Glaubwürdigkeit und Reichweite finden. All jene, die sich über den Selbstinszenierer Söder inbrünstig erregen, werden sich Tag für Tag mehr bestätigt fühlen. Aber sie sollten von seiner Strategie – im gut Geplanten wie im Überdrehten – lernen, wenn sie einen wachsenden Teil der Kommunikation nicht den Rändern überlassen wollen.
CHRISTIAN.DEUTSCHLAENDER@OVB.NET

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