Glücksmomente: Carter (oben) mit Ägyptens Sadat (l.) und Israels Begin. Unten mit seiner Frau Rosalynn. © dpa
Er mischte sich auch nach seiner Amtszeit politisch ein. Noch im November stimmte Carter für Kamala Harris. © Robyn Beck/AFP
Washington – Zupacken, das lag ihm. Noch im hohen Alter half Jimmy Carter, wo es nötig war. Einmal dehydrierte er in sommerlicher Hitze beim Häuserbauen für arme Familien in Kanada und kam ins Krankenhaus. Schon am nächsten Tag stand er wieder auf der Baustelle. Er war unermüdlich.
Der einstige Erdnussfarmer aus dem Örtchen Plains in Georgia machte nie großes Aufhebens um sich. Und so war es auch vor allem die Zeit nach seiner Präsidentschaft, die ihm Respekt und Anerkennung einbrachte – anders als die teils glücklosen Jahre im Weißen Haus. Am Sonntag ist Carter im Alter von 100 Jahren im Kreise seiner Familie gestorben.
Damit überlebte Carter seine Ehefrau Rosalynn gut ein Jahr. Sie war im November 2023 mit 96 Jahren gestorben, nach 77 Jahren Ehe. „Solange Rosalynn auf der Welt war, wusste ich immer, dass mich jemand liebte und unterstützte“, sagte Jimmy Carter damals. Tief gezeichnet von Krankheit, halb liegend in einem Rollstuhl, erwies der 99-Jährige seiner Ehefrau bei der Trauerfeier die letzte Ehre.
Kaum ein anderer US-Präsident hat während seiner Amtszeit solche Niederlagen hinnehmen müssen wie er – vom Geiseldrama in Teheran bis hin zum sowjetischen Einmarsch in Afghanistan. Nach der Zeit im Weißen Haus gelang ihm ein Neustart. Mit einer Stiftung leistete er humanitäre Hilfe und engagierte sich als Friedensvermittler. 2002 bekam er den Friedensnobelpreis.
Carter kam als Außenseiter in die Politik. Aufgewachsen in einfachen Verhältnissen im von Rassentrennung geprägten Süden des Landes, orientierte er sich vor allem an seiner Mutter Lilian, die Schwarze mit Respekt behandelte. Das prägte seinen Charakter. In den 50er-Jahren betrieb er die Erdnussfarm seiner Eltern in Plains. Schließlich begann der Demokrat, sich politisch zu engagieren. 1971 wurde er zum Gouverneur Georgias gewählt.
1976 ging er ins Rennen gegen den republikanischen Amtsinhaber Gerald Ford ums Weiße Haus. „Jimmy wer?“, fragten da viele. Carter wurden kaum Chancen ausgerechnet. Doch nach dem Watergate-Skandal, der Richard Nixon aus dem Amt getrieben hatte, wollten die Menschen Veränderung – und wählten ihn.
Als Präsident (1977 bis 1981) hatte er durchaus Erfolge. So fädelte er zwei Friedensabkommen ein, die Israels Regierungschef Menachem Begin und Ägyptens Präsident Anwar al-Sadat 1979 unterzeichneten. Doch oft blieb Carter glücklos, die „Schmach von Teheran“ kostete ihn schließlich die Wiederwahl. Damals nahmen iranische Studenten dutzende Amerikaner in der US-Botschaft als Geiseln. Das Drama zog sich 444 Tage hin. Die Befreiungsaktion endete im Debakel, acht Elitesoldaten starben. Damit war Carters Wahlniederlage besiegelt. Ausgerechnet am Tag der Amtseinführung von Ronald Reagan kamen die Geiseln frei, eine kalkulierte Erniedrigung.
Aus Washington zog es ihn in seinen kleinen Heimatort zurück. Er malte, schrieb Bücher – und mischte sich politisch ein. 2019 sagte er, Donald Trump sei nur wegen der mutmaßlichen Einflussnahme Russlands im Amt. Den Partei-freund Joe Biden bat er hingegen, seine Grabrede zu halten.
Im Februar 2023 wünschte Carter sich, nur noch palliativ behandelt zu werden, zu Hause bei seiner Familie. Bei der US-Wahl im November gab er seine letzte Stimme ab, per Briefwahl votierte er für Kamala Harris. Sein Sohn Chip ließ mitteilen: „Mein Vater war ein Held – nicht nur für mich, sondern für alle, die an Frieden, Menschenrechte und selbstlose Liebe glauben.“
JULIA NAUE