Die große Hoffnung des Westens? Der neue syrische Machthaber Ahmed al-Scharaa verweigert Frauen den Händedruck, also auch Außenministerin Annalena Baerbock. © Jörg Blank/dpa
Damaskus – Außenministerin Annalena Baerbock hat der neuen syrischen Führung bei ihrem Besuch in Damaskus klare Bedingungen für die Unterstützung Europas gestellt. Deutschland und die Europäische Union wollten dabei helfen, dass das zukünftige Kapitel Syriens ein friedliches und freies werde. Gewissheit gebe es darüber aber noch lange nicht, sagte sie zum Abschluss der gemeinsamen Reise mit dem französischen Außenminister Jean-Noël Barrot im Auftrag der EU.
Es brauche jetzt einen politischen Dialog unter Einbeziehung aller ethnischen und religiösen Gruppen, insbesondere auch der Frauen, so die Grünen-Politikerin. Europa werde Syrien unterstützen, aber nicht zum Geldgeber neuer islamistischer Strukturen werden, betonte Baerbock.
Baerbock und Barrot waren zuvor vom syrischen De-facto-Herrscher Ahmed al-Scharaa empfangen worden. Während der Islamist, wie bei der Begegnung mit Frauen für ihn üblich, die Deutsche nicht per Handschlag begrüßte, streckte er dem Franzosen die Hand entgegen. Der Franzose, zunächst zögerlich, erwiderte die Geste. Baerbock sagte dazu später auf Nachfrage einer Journalistin, sie habe in dem Gespräch mit al-Scharaa sehr deutlich gemacht, dass Frauenrechte ein Gradmesser dafür seien, wie frei eine Gesellschaft sei.
Al-Scharaa ist Anführer der islamistischen Rebellengruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS), die den Sturz von Langzeit-Herrscher Baschar al-Assad vor gut vier Wochen maßgeblich herbeigeführt hatte. Er war früher unter seinem Kampfnamen Abu Mohammed al-Dscholani bekannt. Die Gruppe HTS ging aus der Al-Nusra-Front hervor, einem Ableger des Terrornetzwerks Al-Kaida. Al-Scharaa hatte sich von Al-Kaida und der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) losgesagt und einen gemäßigten Kurs angekündigt.
Trotzdem kommen immer wieder Zweifel an der Wahrhaftigkeit der moderaten Töne aus Damaskus auf. So zog die Übergangsregierung etwa Kritik wegen Lehrplanänderungen auf sich, die nach Ansicht von Kritikern eine ideologische Prägung erkennen lassen. Bis heute gibt es Berichte, denen zufolge die HTS-Führung den Kontakt zu Al-Kaida hält.
Gleich zu Beginn ihres Besuches ließen sich Baerbock und Barrot im berüchtigten Gefängnis Saidnaja nördlich der Hauptstadt von der Zivilschutzorganisation Weißhelme über die Gräuel der Folterer aus der Zeit der Assad-Herrschaft informieren. Die Minister wurden aufgefordert, Masken und Gummihandschuhe überzuziehen – angesichts des Gestanks von Urin und Kot in den von dreckigen Kleidungsstücken und leeren Tablettenschachteln übersäten Zellen. Saidnaja gilt als das wohl berüchtigtste Militärgefängnis aus der Assad-Herrschaft. Im Volksmund wurde es nur das „Schlachthaus“ genannt.
Die Weißhelme flehten Baerbock und Barrot regelrecht an, sich dafür einzusetzen, dass den Opfern Gerechtigkeit widerfährt. Ganz zum Schluss hatten sie den Europäern die berüchtigte Menschenpresse gezeigt. Frauen und Männer sollen darin zu Tode gequetscht worden sein. „Den Horror mancher Orte kann man sich einfach nicht vorstellen“, zeigte sich Baerbock erschüttert. Man könne die Leben der dort gestorbenen Opfer des Assad-Regimes nicht zurückbringen. „Aber wir können alle als internationale Gemeinschaft dazu beitragen, dass es zu Gerechtigkeit kommt.“
Der Kontrast zwischen dem Gefängnis und dem Präsidentenpalast, in dem Baerbock und Barrot empfangen wurden, könnte kaum größer sein. Riesige Hallen, ein dutzender Meter langer roter Teppich, in dem Raum, in dem der al-Scharaa die Europäer zum Gespräch empfing, stehen noch Assads Intarsien-Möbel.
Auf die Frage, ob sie sich für eine baldige Aufhebung der Sanktionen gegen Syrien einsetze, reagierte Baerbock mit Zurückhaltung. Das hänge davon ab, wie der politische Prozess gestaltet werde. Ob Menschenrechte und Sicherheit gewährleistet sind, sei grundlegend bei der Frage nach der Rückkehr von Flüchtlingen, sagte Baerbock zudem. „Menschen kehren nur zurück, wenn sie sicher sind, dass sie nicht wieder in solchen Folterknästen oder in islamistischen Folterknästen landen. Deswegen ist der politische Prozess so essenziell.“