Aus is‘: SPÖ-Chef Andreas Babler, Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger (v.l.) beenden die Gespräche. © H. Fohringer/AFP
Wien – Das neue Jahr begann wie immer in Wien heiter-harmonisch: Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker, am Ende ein fulminanter Radetzky-Marsch, als Gast ein munterer Kanzler. Doch kaum waren die Strauss-Töne verklungen, folgten ein politischer Paukenschlag und grobe Disharmonien: In der Nacht von 2. auf 3. Januar sind die Koalitionsverhandlungen in Österreich geplatzt. Drei Monate nach der Wahl steht die Politik mit leeren Händen und klingelnden Ohren da.
Die liberalen Neos haben ihren Ausstieg aus den wochenlangen Koalitionsgesprächen mit ÖVP und SPÖ verkündet. Es fehle der dringend notwendige Reformwille, klagte Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger. Ähnlich wie bei der Ex-Ampel aus SPD, Grünen und FDP wurden Finanzsorgen zur Schlüsselfrage. Knackpunkt: die Planung eines neuen Haushalts. Österreich steckt in einer Wirtschaftskrise und muss gleichzeitig streng sparen, um die EU-Kriterien für finanzielle Stabilität zu erfüllen. Die Balance zwischen Sparkurs und Wirtschafts-Ankurbelung, gilt als Hauptaufgabe einer neuen Regierung. Zu den strukturellen Problemen zählt zudem das Rentensystem, das längst nicht mehr von den Beiträgen gedeckt werden kann. Der Staat muss ein Gutteil des jährlichen Budgets zur Unterstützung der Rente ausgeben. In der Bildungspolitik, so schildern es die Neos zumindest, habe man sich hingegen stark angenähert.
Aus Sicht der ÖVP hat die SPÖ die Hauptverantwortung für die Entwicklung. „Das Verhalten von Teilen der SPÖ hat zur aktuellen Situation geführt. Während sich Teile der Sozialdemokratie konstruktiv eingebracht haben, haben in den letzten Tagen die rückwärtsgewandten Kräfte in der SPÖ überhandgenommen“, schrieb die ÖVP-Parteizentrale.
Die Lage in der Republik ist kompliziert. Gedacht war das neuartige Dreierbündnis eh nur, um den klaren Wahlsieger, die FPÖ, von der Macht fernzuhalten. Zu weit rechts, nicht regierungsfähig, so urteilen alle anderen Parteien vor allem über FPÖ-Chef Herbert Kickl. Diese Meinung hat sich nicht geändert, auch der konservative Kanzler Karl Nehammer steht persönlich dafür.
Nun müssen er und seine Leute einen neuen Anlauf starten, sich irgendwie jenseits der FPÖ zusammenzufinden. ÖVP und SPÖ wollen erstmal gemeinsam ohne die Neos weiterreden, versicherten Vertreter beider Parteien am Abend. Man wolle die „Kräfte der politische Mitte“ bündeln, gelobte Nehammer. Aber: Sie haben nur eine hauchdünne Mehrheit im Parlament – eine Stimme. „Das ist so stabil, wie die Wiener Reichsbrücke einst war – knapp vor ihrem Einsturz 1976“, spöttelt der bekannte Politologe Peter Filzmaier im „Standard“.
Das Scheitern der Dreier-Gespräche gilt als schwerer Schlag für Nehammer. „Er ist angezählt“, sagte Polit-Berater Thomas Hofer. Durch die Politik, vor allem jenseits von Wien, geistern deshalb auch Szenarien, der gefallene Ex-Kanzler Sebastian Kurz könne ein Comeback versuchen. Unter anderem „Bild“ berichtet über einen Machtkampf hinter den Kulissen der ÖVP zwischen Nehammers Leuten und den verbliebenen Kurz-Getreuen. Der Gedanke dahinter: Eine drohende Neuwahl wäre ein Triumph für die FPÖ, die dann noch mehr als die 28,8 Prozent von vor drei Monaten holen könnte – dagegen komme nur der populäre Kurz an. Im Fall von Neuwahlen sei Nehammer nicht automatisch als Spitzenkandidat gesetzt, meint Hofer, der Kurz als eine Variante nicht ausschließt.
Was dagegen spricht: Gegen den Ex-Kanzler laufen noch juristische Verfahren wegen angeblich gefälschter Umfragen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Untreue, Bestechlichkeit und Bestechung. Ob es zur Anklage kommt, ist offen, das könnte den Glanz einer Rückkehr des einst als „Wunderkind“ gefeierten Politikers schwer trüben.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen holte noch am Freitag die Chefs von ÖVP und SPÖ, also Kanzler Nehammer und Parteichef Andreas Babler zu sich in die Hofburg. Er begrüßt die geplanten Zweier-Gespräche, fordert öffentlich zügig „Klarheit“. Geraunt wird auch über eine Annäherung von ÖVP und SPÖ an die Grünen. Auch Neuwahlen sind möglich, das würde die politische Landschaft wohl weiter durchrütteln: In der jüngsten APA-Umfrage liegt die FPÖ mit bereits über 35 Prozent vor ÖVP und SPÖ (je um die 20); die Neos steuern auf bereits 12 zu, die Grünen auf 8 Prozent.