Beben in Österreichs Politik

von Redaktion

Der große Auftritt in der Hofburg: FPÖ-Chef und Wohl-bald-Kanzler Herbert Kickl verlässt den Raum durch die Tapetentür. © Steinmaurer/AFP

Wien – Die rechte FPÖ steht in Österreich erstmals kurz vor dem Einzug ins Kanzleramt. Bundespräsident Alexander Van der Bellen erteilte den Rechtspopulisten trotz eigener Vorbehalte offiziell den Auftrag zur Bildung einer Regierung. Parteichef Herbert Kickl solle Gespräche mit der konservativen ÖVP aufnehmen. Kickl habe ihm in einem Gespräch versichert, dass er sich die Aufgabe als Kanzler zutraue. Der bei der Regierungsbildung sehr einflussreiche Präsident sagte: „Ich habe mir diesen Schritt nicht leicht gemacht.“

Das rund einstündige Treffen von Van der Bellen und Kickl war begleitet von Protesten. Vor der Präsidialkanzlei marschierten Hunderte Demonstranten auf, unter anderem mit Schildern wie „Nazis raus“. Die ÖVP und die rechte FPÖ hatten zwar bereits in den 2000er Jahren und zwischen 2017 und 2019 koaliert – allerdings unter ÖVP-Regierungschefs.

Die FPÖ hatte die Parlamentswahl im September mit 29 Prozent gewonnen. Zunächst wollte niemand mit Kickl regieren. Doch Gespräche über eine Regierung aus den Mitte-Parteien scheiterten. Die ÖVP hat nach dem Rückzug von Kanzler Karl Nehammer als Parteichef am Wochenende nun einen Kurswechsel vollzogen. Sie ist unter ihrem neuen Parteivorsitzenden Christian Stocker bereit, Juniorpartner der FPÖ zu werden.

Die Ausgangslage für die Gespräche gilt als gut. Deutliche Differenzen zwischen FPÖ und der ÖVP gibt es aber in Sachen Außen- und Sicherheitspolitik. So möchte Kickl etwa dem geplanten europäischen Luftverteidigungssystem „Sky Shield“ nicht beitreten. Den Russland-Sanktionen der EU steht die FPÖ äußert kritisch gegenüber – im Gegensatz zur ÖVP, die klar auf der Seite der Ukraine steht. Völlig offen seien auch gemeinsame Konzepte zur Bewältigung der tiefen Budgetkrise, sagte der Präsident des Fiskalrats Christoph Badelt im ORF. Es sei fraglich, ob ein neuer Kanzler von der FPÖ mit unpopulären Sparmaßnahmen oder Steuererhöhungen starten wolle. „Wir wissen alle nicht, wozu die FPÖ, wenn es wirklich ums Budgetkonsolidieren geht, eigentlich bereit wäre.“ Österreich muss dringend seinen Haushalt sanieren, um ein EU-Defizitverfahren zu vermeiden.

Die Budgetregeln der EU sehen vor, dass das Budgetdefizit in EU-Staaten drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) nicht überschreiten darf. Der Schuldenstand sollte zudem nicht mehr als 60 Prozent des BIP betragen. Die EU-Kommission rechnet für 2025 und 2026 je mit einem Wiener Budgetdefizit von 3,6 Prozent.

Van der Bellen als Staatsoberhaupt, ehemals Vorsitzender der Grünen, hatte in seinen Erklärungen immer wieder betont, dass er „nach bestem Wissen und Gewissen“ darauf achten werde, dass die Grundpfeiler der Demokratie weiter hochgehalten würden. Er nannte den Rechtsstaat, die Gewaltenteilung, freie, unabhängige Medien und die EU-Mitgliedschaft Van der Bellens nächste Aufgabe ist, nächste Woche einen Übergangskanzler zu ernennen; österreichische Medien schlugen Außenminister Schallenberg vor.

Sollten sich FPÖ und ÖVP überraschend doch nicht einigen, könnten die Rechtspopulisten einer Neuwahl gelassen entgegensehen. Ihr Stimmenanteil ist laut Umfragen noch einmal deutlich auf mindestens 35 Prozent gewachsen. Außerdem ist die Parteikasse der FPÖ im Gegensatz zu anderen Parteien gut gefüllt.

Der einst populäre Kanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz setzte sich offenbar ÖVP-intern nicht mit Überlegungen zu einem Comeback durch. Daraufhin ließ der 38-Jährige, der inzwischen als Unternehmer erfolgreich ist und noch wegen Bestechlichkeits- und Bestechungsvorwürfen im Visier der Justiz steht, verbreiten, nicht als Nehammer-Nachfolger zur Verfügung zu stehen.

Nehammer selbst hatte stets klargemacht, keinesfalls mit der FPÖ unter Kickl zu regieren. Er nannte Kickl ein „Sicherheitsrisiko“. Das hat nicht nur mit mangelnder Abgrenzung gegenüber Rechtsextremen zu tun, sondern auch mit Kickls Russland-freundlichen Positionen und seiner Amtsführung als früherer Innenminister 2017 bis 2019.

Der als charismatisch geltende Kickl, geboren in Kärnten, hat im Wahlkampf angegeben, er wolle ein „Volkskanzler“ sein. Er kündigte zudem an, gegen Vertreter der Corona-Maßnahmenpolitik vorzugehen. 2024 sagte er, dass er „eine lange Fahndungsliste der Verantwortungsflüchtigen“ führe. Den heute 80-jährigen Van der Bellen bezeichnete er nicht nur als „Mumie“, sondern auch als „bissl senil“.
(MIT AFP)

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