Husten, Schnupfen, Heiserkeit: Der Krankenstand in Deutschland ist hoch und in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen (siehe Grafik). Wie viele Arbeitnehmer krank „feiern“, ist unklar. © Klose/dpa
München – Mit einem Paukenschlag startet das Arbeitsjahr 2025: Der Vorschlag von Allianz-Chef Oliver Bäte, im Kampf gegen die seiner Meinung nach zu vielen Krankmeldungen in Deutschland den Karenztag wieder einzuführen (wir berichteten), lässt die Wogen hochschlagen. Nach diesem Plan müssten die Arbeitnehmer die Kosten für den ersten Krankheitstag selber tragen – für die Gewerkschaften eine Unverschämtheit.
Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (Ifo-Institut) hält die Idee für diskussionswürdig. Prof. Joachim Ragnitz, stellvertretender Leiter der ifo Niederlassung Dresden, räumt ein, dass ein Karenztag nicht die Probleme der Wirtschaft lösen würde, „aber er kann helfen, die Arbeitskosten der Unternehmen zu senken, beziehungsweise ,Krankfeiern‘ zu verringern“. Wohlwissend, dass es schwierig ist, unbegründetes Fernbleiben zu beweisen, bleibt der Experte vorsichtig: „Geht man davon aus, dass ,Krankfeiern‘ tatsächlich ein relevantes Problem ist, so würde ein Karenztag helfen, dies zu vermeiden.“ Das tue auch wirklich Kranken nicht weh. „Notfalls könnte man ja auch eine Regel einführen, dass die Lohnfortzahlung nur dann eingeschränkt wird, wenn die Arbeitnehmer sich ohne Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung krankmelden. Das würde dann alle Krankmeldungen unter drei Tage erfassen.“ Doch auch hier gibt es einen Pferdefuß: Eine solche Regelung wäre mit Bürokratie verbunden.
Eher zurückhaltend reagiert die CSU: „Die gesetzliche Krankenversicherung fußt auf Solidarität“, er wolle niemandem unterstellen, dass er sich missbräuchlich krankmeldet, sagt Fraktionschef Klaus Holetschek unserer Zeitung. Man müsse den Menschen eher wieder mehr Vertrauen entgegenbringen. „Aus meiner Sicht wäre es besser, mehr auf Prävention zu setzen. Dazu müssen wir unsere Unternehmen stärker beim betrieblichen Gesundheitsmanagement unterstützen“, sagt der frühere Gesundheitsminister.
Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) indes redet Klartext. Die zunehmende Zahl an Krankheitstagen sei tatsächlich ein Problem für die Wirtschaft. Es müsse erforscht werden, warum seit Corona die Krankheitstage steigen. „Kürzlich hat mir ein Unternehmer von über zehn Prozent Krankenstand in seinem Betrieb berichtet, bei einer Fünftagewoche durchschnittlich also jede zweite Woche ein Tag Fehlzeit.“ Das sei deutlich mehr als bei dessen vergleichbarer Niederlassung in Osteuropa. Der hohe Krankenstand führt laut Aiwanger zu weniger Wettbewerbsfähigkeit für den Standort Deutschland. „Das System der telefonischen Krankmeldung muss überprüft werden, und es ist auch zu prüfen, wie die finanziellen Belastungen für Krankmeldungen fair verteilt werden können, ohne chronisch Kranke in Probleme zu bringen und ohne die Betriebe mit diesem Phänomen alleine zu lassen.“
Die FDP plädiert für eine offene Diskussion über den Karenztag. „Der Krankenstand ist in Deutschland ungewöhnlich hoch – und seit der Möglichkeit der telefonischen Krankschreibung noch mal deutlich gestiegen. Das belastet unsere Unternehmen“, sagt Martin Hagen, Bayerns FDP-Chef.
Für Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft, sind alle Ansätze richtig, „um die hohen Krankenstände zu reduzieren“. Nach Zahlen der BKK, des Dachverbands für 65 Betriebskrankenkassen, seien die Arbeitnehmer 2023 drei Wochen im Durchschnitt krankgeschrieben gewesen. In Bayern liegt laut Brossardt die Zahl leicht darunter. Die Kosten für die Entgeltfortzahlung hätten sich für die Arbeitgeber innerhalb von 14 Jahren auf 76,7 Milliarden Euro in Deutschland verdoppelt. Hinzu kämen Kosten für Produktionsausfälle, Störung von Lieferketten und mehr. Die Wiedereinführung des Karenztages könne eine geeignete Maßnahme sein. Und: „Die telefonische Krankschreibung muss wieder abgeschafft werden.“ Sie sei während der Corona-Zeit aus Gründen des Infektionsschutzes richtig gewesen. Aber nun nicht mehr nachvollziehbar.
CM/MIK/CD