Herr Posselt, was sagt der Europäer in Ihnen: Wäre ein Kanzler Kickl das Ende der guten Nachbarschaft zu Österreich?
Ich persönlich bin schwer betroffen. Mein Großvater war nach dem Krieg einer der Mitbegründer der ÖVP in der Steiermark und der hätte sich nie mit einem Radikalen wie Kickl in ein Bett gelegt. Die Nachbarschaft würde bestehen, aber sie würde großflächig schlechter.
Was meinen Sie?
Man muss sich klarmachen, dass im Donauraum gerade eine rechtsextreme Internationale entsteht. Die tschechische Regierung ist gefährdet durch den Milliardär Babis, der slowakische Ministerpräsident Fico ist ein Moskau-treuer Nationalist, in Ungarn herrscht Orbán. Wenn jetzt Österreich auch noch kippt, ist vor unserer Tür ein ganzer Block von fragwürdigen, rechtsextremen, dem Kreml nahestehenden Regierungen. Das muss unbedingt verhindert werden.
Ist das Ihr Appell an die befreundete ÖVP?
Für die ÖVP müssen die drei Kriterien Manfred Webers gelten: Sie muss pro Europa, pro Ukraine und pro Rechtsstaat sein. Eine Koalition mit der Kickl-FPÖ, die alldem widerspricht, wäre entsetzlich. Vernünftige Stimmen in der ÖVP begehren ja schon auf, wie der Europaabgeordnete Lukas Mandl, der vorschlägt, eine Minderheitsregierung von ÖVP und liberalen Neos zu bilden. Ich sehe die ganze Sache noch nicht gelaufen.
Hätte Putin mit Kickl einen Verbündeten?
Die FPÖ hat noch 2016, nach der Annexion der Krim durch Russland, einen Freundschaftsvertrag mit der Putin-Partei geschlossen. FPÖler sind danach auf die Krim gefahren, haben sich dort schulen lassen. Kickl selbst ist ein lupenreiner Putinist. Deswegen stimmt übrigens auch der Vergleich mit der FPÖ-Regierungsbeteiligung unter Kanzler Wolfgang Schüssel nicht. Ein Jörg Haider durfte damals nicht in die Regierung. Die FPÖ war zwar auch damals nicht sehr sympathisch, aber sie war eine andere.
Was hieße es für die EU, wenn Kickl regierte?
Es war die christlich-soziale ÖVP, die Österreich vor 30 Jahren in die EU gebracht hat. Das Land hat davon sehr profitiert und immer eine konstruktive Rolle gespielt. Ich kann mit nicht vorstellen, dass die ÖVP akzeptiert, dass Herr Kickl seinen radikal antieuropäischen Kurs durchsetzt. Deswegen hoffe ich auf ein Scheitern der Koalitionsverhandlungen.
Und wenn nicht?
Dann müssen wir halt pragmatisch überleben und weiterkämpfen. Ein anhaltender Siegeszug der Rechtsradikalen in Europa ist nicht in Stein gemeißelt.
Die demokratischen Kräfte in Österreich haben keine Regierung zustande gebracht. Was lässt sich aus ihrem Scheitern lernen?
Die demokratische Mitte muss Gegensätze zurückstellen, wenn es darum geht, solche Extremisten wie Herrn Kickl zu verhindern. Sie darf sich nicht selbst in die Luft sprengen, wie sie es gerade in Österreich gemacht hat – auch durch den Linksruck der sozialdemokratischen SPÖ.