Bald Interimskanzler: Außenminister Schallenberg (r.) soll Noch-Kanzler Nehammer (l.) ablösen. © Hans Punz/AFP
München – Er hatte kaum Zeit, sich zu entscheiden. Nachts um drei soll Sebastian Kurz ihm eine SMS geschrieben haben („Wir müssen reden“), um sechs stand Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg im Büro des damaligen Kanzlers. Dann ging alles sehr schnell. Kurz trat zurück, Schallenberg übernahm. Aus Pflichtgefühl, sagte er dem Magazin „Profil“ einmal, nicht weil er wollte. Es sei eine „sehr heftige Zeit“ gewesen.
Knapp zwei Monate lang war Schallenberg Ende 2021 Übergangskanzler und als er den Posten wieder gegen das Außenamt eintauschen konnte, soll er ziemlich erleichtert gewesen sein. Nun wird er trotzdem noch mal eine Lücke füllen müssen. Am Freitag übernimmt der 55-Jährige erneut die Regierungsgeschäfte – bis eine neue Koalition steht.
Für das politisch kriselnde Österreich ist es womöglich die letzte Phase des Durchatmens. Schallenberg, ein Mann aus altem Adelshaus, weltgewandt, Europa-freundlich, ist in vielem das Gegenteil des rumpelnden FPÖ-Chefs Herbert Kickl, für den er nun womöglich den Stuhl vorwärmt. Der Karrierediplomat ist international angesehen. Volksnähe fehle ihm aber, meinen Beobachter, ebenso wie ein eigenes innenpolitisches Profil.
Schon 2021 wurde Schallenberg vorgehalten, kaum mehr als eine Kurz-Kopie zu sein, die die Mantras des Vorgängers – vor allem Härte bei Migration – nachbete. Die Kanzlerschaft startete mit öffentlichen Fehltritten; dass er verpflichtende Corona-Impfungen durchsetzte, stärkte Kickls extrem Rechte. Aber: Schallenberg hielt die Koalition aus ÖVP und Grünen zusammen, sorgte für einen stabilen Übergang.
Das ist auch jetzt sein Job. Bis zur Angelobung einer neuen Regierung brauche es „Stabilität und Zuverlässigkeit“, erklärte Noch-Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) und dankte dem Parteifreund dafür, sich „in einer schwierigen Phase“ wieder in den Dienst des Landes zu stellen. Es ist vielleicht der letzte Dienst. In konservativen Kreisen heißt es, einer Regierung Kickl wolle Schallenberg nicht angehören.
Nur konsequent, denn inhaltlich sind beide an vielen Stellen über Kreuz. Der Außenminister gilt als Befürworter der Russland-Sanktionen, Kickl als kremlnah. Jenes Europa, das der Populist Kickl hasst, ist das Zuhause des ÖVP-Mannes Schallenberg. In der Schweiz geboren, wuchs er in Indien, Spanien und Frankreich auf. Er studierte Jura und folgte dem Vater, der ebenfalls Spitzendiplomat war. Nachdem er mehrere ÖVP-Außenminister beraten hatte, übernahm er das Amt 2019 selbst.
Nun ist er wieder der Mann des Übergangs. Seine Partei will indes mit Kickl sprechen – und ihn womöglich zum ersten FPÖ-Kanzler machen.
MMÄ