„Bauchgefühl Kriegsangst“: Die CSU empfängt Friedrich Merz (M.) in Seeon. © Kneffel/dpa
Seeon/München – Die CSU kann kuscheln und sie kann kratzen. Manchmal beides direkt hintereinander. Als Friedrich Merz im Klausur-Saal in Seeon empfangen wird, brechen die CSU-Abgeordneten in einminütigen Beifall aus, erheben sich sogar von den Sitzen. Er ist ja der gemeinsame Kanzlerkandidat, kein öffentlicher Zoff diesmal wie mit Armin Laschet 2021. Markus Söder steht sogar als Erster auf, klatscht mit. Der harmonische Eindruck ist schön. Aber trügt er?
Zu Jahresbeginn, sechseinhalb Wochen vor der Wahl, gibt es Misstöne in der Union. Es geht um Inhalt, Strategie und Einsatz von Merz persönlich. Die alte strategische Frage, eine Koalition mit den Grünen kategorisch auszuschließen (Söder) oder aktuell mit diesem Personal nicht anzusteuern (Merz) erscheint ausdiskutiert, umwabert dennoch intensiv die dreitägige CSU-Klausur im Kloster. Zwei für sich genommen schlüssige Analysen prallen da aufeinander: Söder fürchtet vor allem in Bayern eine Wählerflucht zu Freien Wählern oder sogar AfD, wenn er die Tür zu den Grünen auch nur millimeterweit öffnet. Die starken CSU-Werte und die relativ mauen CDU-Umfragen scheinen ihm Recht zu geben. Merz sieht sich nach der Wahl in der Klemme, wenn er der SPD als einzigem Koalitionspartner dann ausgeliefert ist. Die Lage in Österreich, wo eine nach links gedriftete SPÖ die Koalitionsverhandlungen platzen ließ, scheint ihm Recht zu geben.
Einen solchen Konflikt, sagen hohe Unionsleute, können CDU und CSU aushalten oder als Doppelstrategie erklären. In Seeon bricht aber ein zweiter Dissens auf. Söder spricht vor seinen Abgeordneten erstmals in größerer Runde einen Kurswechsel in der Ukraine-Politik aus. Mehrere Zuschauer schildern, der CSU-Chef bezweifle, dass sich die Bevölkerung von einer Taurus-Lieferung überzeugen lasse. Die Mehrheit glaube nicht, dass die Marschflugkörper so programmiert sein könnten, dass sie Moskau nicht erreichen.
Merz wirbt für die Taurus-Lieferung, zuletzt persönlich in Kiew. Auch Söder teilte das einst: Im März 2024 trat er beim Hersteller MBDA im oberbayerischen Schrobenhausen auf, tätschelte einem Taurus vor den Kameras die metallene Schnauze und sagte: „Diese Waffe muss zum Einsatz kommen.“ Er appellierte ans „Gewissen“ der rot-grün-gelben Abgeordneten, den skeptischen Kanzler Olaf Scholz („bockbeinig“) zu überstimmen. Den Dissens in der Ampel nannte er ein „katastrophales Bild“.
Söders Wende folgt den Umfragen. Zuletzt sagten 61 Prozent im ARD-Deutschlandtrend, sie seien gegen eine Taurus-Lieferung. Im Osten, wo 76 Prozent gegen Taurus sind, sorgte Merz‘ Kiew-Reise sogar für offene Wut, CDU-Ministerpräsidenten meldeten sich hilfesuchend bei Söder. Es spricht kein CSUler offen aus, aber keiner vermutet, eine Mehrheit der Bayern sei für massiv verstärkte Ukraine-Waffenlieferungen. „Bauchgefühl: Kriegsangst“, sagt ein CSU-Außenpolitiker, der es selbst anders sieht. Scholz setzt längst auf das Gefühl, ebenso BSW und AfD. Strategen fürchten, Russland werde durch Drohungen und/oder Nukleartests Anfang Februar, wenn die Briefwahl startet, dieses Gefühl noch gezielt verstärken.
Der CSU-Plan war, das in den nächsten Wochen zu überdecken, nur über Wirtschaft, Migration und (innere) Sicherheit zu reden. Hier ist sich die Union (mit Ausnahme der Mütterrente) so einig wie selten zuvor, Verdienst der Parteichefs. Der ansonsten außenpolitisch aktive Söder ließ mehrere Anlässe verstreichen, selbst nach Kiew zu reisen. Im Seeoner Nieselregen vor den Kameras bemühen sich die Parteichefs, den Taurus-Konflikt kleinzuhalten. Details zu Waffensystemen seien dann Sache des nächsten Kanzlers, sagt Söder auf Nachfrage, Merz habe freie Hand. Wichtigstes Ziel sei Frieden. Merz regte eine gemeinsame europäische Strategie, auch mit Briten und USA, an, „dazu zählt der deutsche Taurus“.
Merz bekennt sich ansonsten in klaren Worten zu den CSU-Papieren, gerade bei Migration und Abschiebung. Das hören die Christsozialen gern. In Seeon war Murren zu hören, dass Merz direkt nach Weihnachten zu leise aufgetreten sei, spät auf Touren komme, während Söder im Drei-Tages-Rhythmus Interviews gab und Social Media bediente.