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Der Bierdeckel als Warnung

von Redaktion

Scholz‘ außenpolitische Inszenierung

Weil Not bekanntlich kein Gebot kennt, hat nun auch die SPD einen Bierdeckel im Programm. Auf ihm lässt sich die Steuerersparnis einer vierköpfigen Familie errechnen, wenn es nach den Plänen der Sozialdemokraten geht. Klingt nach Friedrich Merz, soll es auch.

Nicht ganz so plump wie die Bierdeckel-Nummer, aber ähnlich offensichtlich ist ein zweites Manöver, das einem bekannt vorkommt. Olaf Scholz, der innenpolitisch nach drei Jahren Ampel nur noch wenig zu gewinnen hat, inszeniert sich plötzlich als Wortführer der westlichen Welt. Zuletzt hat er Donald Trump wegen dessen Gelüsten Richtung Grönland mit – für seine Verhältnisse – energischen Worten zurechtgewiesen. An der Unverletzlichkeit von Grenzen sei nicht zu rütteln. Daran muss man heute wirklich erinnern.

Ob die Botschaft überhaupt in Mar-a-Lago angekommen ist, ist ebenso zweifelhaft wie unwichtig. Scholz‘ rhetorische Offensive, die an Gerhard Schröder 2002 und sein kategorisches Nein zum Irakkrieg erinnert, zielt erkennbar auf den deutschen Wähler. Spitzen gegen Trump gehen da immer.

Das Bedienen einer antiamerikanischen Stimmung ist das eine und wäre kurzsichtig genug. Bei Scholz kommt jedoch hinzu, dass die Rolle, die für sich entdeckt zu haben glaubt, in absurdem Widerspruch zu seinem Handeln als Bundeskanzler steht. Außenpolitisch ist seine Bilanz ernüchternd: In der Ukraine verzweifelt man immer wieder an seiner Zögerlichkeit, gerade erst soll Scholz ein milliardenschweres Hilfspaket blockiert haben. Dass die künftige US-Regierung nicht nach seinem Geschmack ist, war von Anfang an klar. Vor allem aber hat der Kanzler es nie geschafft, eine stabile Achse mit den europäischen Nachbarn Frankreich und Polen zu bilden. In Paris und Warschau hat man sich lange gewundert und schließlich neu orientiert.

Nun plötzlich den Anführer Europas zu geben, wirkt ebenso aufgesetzt wie neulich der Versuch, sich innenpolitisch kantiger zu geben („Fritze Merz redet Tünkram“). Letztlich wird auch Scholz nicht nur an seinen Worten gemessen werden. Der Bierdeckel sollte ihm eine Warnung sein. Das Original wurde nie politische Realität, heute steht es im Museum.
MARC.BEYER@OVB.NET

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