Streit um Ukraine-Milliarden

von Redaktion

Symbolische Übergabe der ersten Radhaubitze RCH 155 durch Verteidigungsminister Boris Pistorius (M.) an den ukrainischen Botschafter Oleksii Makeiev (r.). © Michael Kappeler/dpa

München – In diesem fleckgetarnten Ungetüm steckt ein technischer Durchbruch. Die Radhaubitze RCH 155 fährt nicht auf Ketten, sondern auf Reifen, sie erreicht bis zu 100 km/h – vor allem aber kann sie während der Fahrt schießen, was Gold wert ist. 54 Exemplare soll die Ukraine bekommen, das erste hat Boris Pistorius gestern an Kiews Botschafter übergeben. Für ihn, den Verteidigungsminister, ist damit auch eine Botschaft verbunden: „Die Ukraine, und das ist das Signal, kann auf uns zählen.“

Der Termin am Kasseler Standort des Rüstungskonsortiums KNDS kommt gerade zur rechten Zeit. Denn in Berlin wird gerade mal wieder über die Ukraine-Hilfen gestritten und darüber, ob Pistorius‘ Satz gilt. Konkret geht es um neues Geld, drei Milliarden Euro, die Pistorius (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) Kiew vor der Bundestagswahl zur Verfügung stellen wollen. Nur einer will offenbar nicht: der Kanzler.

Der Vorwurf wabert seit Tagen herum. Pistorius selbst sagte dem „Tagesspiegel“, die regierungsinternen Abstimmungen über das Paket liefen noch, er sehe aber keine Blockade des Kanzlers. Vom grünen Koalitionspartner kommen dennoch wütende Mahnungen.

Der bayerische Europapolitiker Anton Hofreiter nannte das Vorgehen des Kanzlers „beschämend“. Der Haushaltspolitiker Sebastian Schäfer warf Scholz in der „SZ“ vor, „verantwortungslos“ zu handeln. Er blockiere „getrieben vom Wahlkampf“ jenes Geld, das er im November selbst noch gefordert hatte. Tatsächlich hatte Scholz damals drei zusätzliche Milliarden bereitstellen wollen, allerdings finanziert über neue Schulden. Die FDP machte das nicht mit, es war der letzte Akt im Ampeldrama.

Dass der Kanzler gut zwei Monate später die eigene Forderung kassiert, würde zumindest ins Bild passen. Auch wenn das Thema im Wahlkampf in den Hintergrund gerückt ist, will Scholz derzeit gerne als einer erscheinen, der den Frieden sucht – und nicht neue Waffen liefert. Eben die wären aber dringend nötig.

Russland zerstört im laufenden Kriegswinter systematisch Elektrizitätswerke und andere zivile Infrastruktur in der Ukraine. Auf der Prioritätenliste ganz oben stehen deshalb weitere Systeme zur Luftabwehr. Berichten zufolge würden die zusätzlichen Milliarden vor allem in die Anschaffung von drei neuen Iris-T-Flugabwehrbatterien fließen, außerdem Patriot-Lenkflugkörper und weitere Artilleriemunition. Die ukrainische Delegation bat beim Ramstein-Treffen vergangene Woche bei den Unterstützerländern offensiv darum.

Scholz weiß das. Grundsätzlich, sagte er gestern am Rande eines Wahlkampftermins in Bielefeld, habe er auch nichts gegen weitere Hilfen. Es müsse aber klar sein, wo das Geld herkomme. „Ich bin dagegen, dass wir das von den Renten holen, ich bin dagegen, dass wir das durch Kürzungen bei den Gemeinden machen, ich bin dagegen, dass wir weniger Geld in die Bahn und Straßen investieren“, sagte er. „Also muss man das extra finanzieren.“

Vier Milliarden an Ukraine-Hilfen sind für 2025 bereits eingeplant. Das Konzept von Pistorius und Baerbock sieht vor, die zusätzlichen drei Milliarden als überplanmäßige Ausgabe zu beschließen. Das müsste im Haushaltsausschuss des Bundestags passieren, und darin auch die Zustimmung von Union und FDP finden. Mit der Unionsfraktion soll es bereits Gespräche dazu gegeben haben. Letztlich müsste das Finanzministerium alles absegnen.

Die Zeit bis zur Wahl ist knapp. Ob der Plan, so nötig er wäre, umgesetzt wird, ist völlig unklar. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sagte gestern, er sei dagegen, neue Mittel zu binden. In der Union wundert man sich. „Ich bin maximal irritiert, dass die Vertreter der Resteampel bei der Unterstützung der Ukraine so rumeiern“, sagte der verteidigungspolitische Sprecher Florian Hahn (CSU) unserer Zeitung. „Man hat den Eindruck, dass gerade bei der SPD zwei Flügel gegeneinander kämpfen und die Moskau-Connection Oberwasser hat.“

Pistorius hätte damit, um im Bild zu bleiben, das Nachsehen. Ob das stimmt? Am Nachmittag reiste er nach Warschau zu einem Treffen mit vier europäischen Amtskollegen. Man dürfe bei der militärischen Hilfe nicht nachlassen, warnte er. Man werde die Ukraine weiter unterstützen. „Das gilt auch weiterhin.“
MIT DPA

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