Kurze Ausführung, lange Wirkung: Für seine Ankündigung, auch auf Kapitalerträge Sozialabgaben erheben zu wollen, hat Wirtschaftsminister Robert Habeck viel Kritik erhalten. © dpa
Die Lage: Nach dem ersten Wirbel ist es Robert Habeck und den Grünen ganz wichtig: Es gehe beim Vorstoß, Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge auf Kapitalerträge zu erheben, nicht um Normalverdiener und Sparer, sondern um die „Einbeziehung der Kapitaleinkünfte von Leuten, die große Kapitaleinkünfte haben“, wie der Wirtschaftsminister und Kanzlerkandidat es ausdrückt. Das Problem: Die meisten schwer Vermögenden sind privat versichert und zahlen überhaupt nicht in die gesetzliche Krankenversicherung ein – und wenn doch, liegen sie über der Bemessungsgrenze. Und was viele nicht wissen: Wer sich trotz guten Einkommens oder als Selbstständiger gesetzlich versichert, muss bereits heute auf alle Arten von Einkünften Krankenkassenbeiträge bezahlen, also auch auf Mieteinkünfte oder eben Kapitalerträge, zum Beispiel aus Wertpapieren. Dabei handelt es sich in der Regel um Selbstständige, Beamte oder einige Rentner.
Altersvorsorge: Weil sie sich angesichts des demografischen Wandels nicht allein auf die Rentenversicherung verlassen wollen, investieren insbesondere viele junge Menschen langfristig in sogenannte Indexfonds (ETF). Wenn sie nun zur ohnehin anfallenden Kapitalertragssteuer von 25 Prozent zusätzlich auch noch Sozialbeiträge abtreten müssten, würde der Staat womöglich sein eigenes Ziel untergraben, solch frühe private Vorsorge zu fördern. Allerdings käme das stark auf die konkrete Ausgestaltung der Reform an. Natürlich gibt es Wege, diesem Problem auch wieder entgegenzutreten – zum Beispiel mit höheren Freibeträgen. Die FDP spricht sich sogar für eine aktive Förderung einer kapitalgedeckten Altersvorsorge aus. Eine echte individuelle Aktienrente solle steuerlich gefördert sein, finden die Liberalen.
Bemessungsgrenze: Die Grünen führen an, nicht kleine Anleger, sondern Millionäre belasten zu wollen, die angesichts ihrer hohen Erträge selbst nicht mehr arbeiten müssen. Allerdings kann man hinterfragen, ob die Belastung dieser vergleichsweise eher kleinen Gruppe ausreichen kann, um das Ziel einer gleichzeitigen Entlastung bei den Lohnabgaben zu finanzieren. Zumal derzeit obendrein eine sogenannte Beitragsbemessungsgrenze bei 66 000 Euro jährlich gilt. Für Einkünfte darüber werden also gar keine Krankenkassenbeiträge mehr abgeführt, gerade diejenigen mit hohen Kapitaleinnahmen würden also eher noch geschont. Doch natürlich könnte man diese Beitragsbemessungsgrenze im Rahmen einer Reform auch erhöhen, beziehungsweise eine eigene Grenze (oder gar keine) für Kapitalerträge einführen.
Bürgerversicherung: Würde die derzeitige Trennung von gesetzlicher und privater Krankenversicherung zugunsten einer Bürgerversicherung für alle aufgebrochen, wie sie auch die Grünen grundsätzlich unterstützen, wäre die Ausgangslage eine andere, weil dann automatisch auch die Kapitalerträge der heute privat Versicherten belastet würden. Technisch wäre es sogar auch ohne Bürgerversicherung denkbar, auch Abgaben auf die Kapitalerträge privat Versicherter zu erheben und in den Gesundheitsfonds einfließen zu lassen. Rechtfertigen ließe sich das theoretisch als eine Art Ausgleich für andere Ungleichgewichte. So soll zum Beispiel bei der Krankenhausreform ein erheblicher Teil allein aus Beiträgen der gesetzlich Versicherten finanziert werden, obwohl Kliniken auch Privatversicherten zur Verfügung stehen.
Bürokratie und Gerichte: In Zeiten, in denen über alle Lager hinweg über zu viel Bürokratie geklagt wird, würde eine solche neue Abgabepraxis zumindest nicht zum Abbau von Regularien und Verwaltungsaufwand beitragen, vermutlich eher im Gegenteil. Auch eine Klage, an deren Ende das Bundesverfassungsgericht entscheidet, erscheint für diesen Fall nicht unwahrscheinlich. Dass solche Unsicherheiten für eine Regierung ein hohes Risiko bedeuten können, dürfte Robert Habeck aus eigener Erfahrung heraus bewusst sein.