Die Trümmer eines Hauses, davor die Überreste der Habseligkeiten: Ein Mann ist nach Rafah zurückgekehrt. © Eyad Baba/AFP
Gaza – Die martialischen Szenen mit uniformierten Hamas-Anhängern bei der Freilassung der ersten drei israelischen Geiseln lassen Abdullah Abdel Aal kalt. Der 45-Jährige hat im Gaza-Krieg 40 Angehörige verloren. Er empfindet die Behauptungen der Hamas, einen Sieg über Israel errungen zu haben, zynisch. „Ich bin obdachlos, ohne Leben oder Zukunft“, sagt der sechsfache Vater der Deutschen Presse-Agentur. „Ich weiß nicht, wofür wir diesen Preis zahlen müssen.“
Der Hamas gibt er ebenso die Schuld an seiner Lage wie Israel. „Sie haben meine Heimat in einen Trümmerhaufen verwandelt, voll Schmerz und Leid, das niemals aufhört – selbst wenn der Krieg endet.“ Derzeit lebt Aal mit seiner Familie in einem Zelt in einem Flüchtlingslager in Chan Junis. Vor dem Krieg hat er als Händler gearbeitet. Jetzt ist er von Hilfslieferungen abhängig.
Auslöser des Krieges war das Hamas-Massaker, bei dem am 7. Oktober 2023 rund 1200 Menschen in Israel getötet und mehr als 250 nach Gaza verschleppt wurden. Israel reagierte mit Angriffen auf die Hamas, bei denen nach palästinensischen Angaben mehr als 46 700 Menschen getötet wurden. Die unabhängig nicht prüfbare Zahl unterscheidet nicht zwischen Zivilisten und Terroristen.
Viele Menschen im südlichen Gazastreifen brachen gleich nach Inkrafttreten der Waffenruhe auf, um etwa in Rafah in Augenschein zu nehmen, was von ihren Häusern und ihrer Stadt übrig geblieben ist. Manche brachten mit Eselskarren gleich ihre Habe mit, die sie vor Monaten bei ihrer Flucht mitgenommen hatten. Aal, der weiß, dass sein Haus zerstört wurde, hat keine Pläne aufzubrechen. „Warum sollte ich zurückgehen?“, fragt er verbittert. „Alles ist zerstört. Überall ist der Geruch des Todes. Was sollte ich anderes finden außer Unterdrückung und Schmerz?“
Währenddessen wird in Israel bekannt, was die Geiseln in den Händen der Hamas-Terroristen erleiden mussten (oder noch müssen). Die Erleichterung über die Freilassung der drei weiblichen Geiseln aus der Gewalt der Hamas ist riesig. Doch groß ist auch die Sorge um die Gesundheit der drei Frauen. Werden sie sich von der mehr als 15-monatigen Gefangenschaft erholen? „Das schwierigste Problem wird die psychische Gesundheit sein“, sagt Amir Blumenfeld, der ehemalige Leiter der Trauma-Abteilung der israelischen Armee.
Romi Gonen, Emily Damari und Doron Steinbrecher waren die ersten Geiseln, die am Sonntag freikamen. Der Zustand der Frauen sei „stabil“, sagte ein Arzt am Scheba-Krankenhaus nach den ersten Untersuchungen. Auf einem von der Armee veröffentlichten Foto ist zu sehen, dass Damari an einer Hand offenbar nur noch drei Finger hat. Blumenfeld, der als Arzt auch das Forum der Geiselfamilien unterstützt, sagt, die Gefangenen hätten vermutlich „die Hälfte oder ein Drittel“ ihres ursprünglichen Körpergewichts verloren. Und die psychischen Wunden sind weit schwerer zu behandeln.
Das israelische Gesundheitsministerium sammelte die Aussagen der bisher freigelassenen Geiseln in einem Bericht, der im Dezember dem UN-Sonderberichterstatter für Folter vorgelegt wurde. Demnach erlitten die Gefangenen körperliche und psychische Gewalt: Schläge, absichtlich zugefügte Verbrennungen, sexuelle Übergriffe, Nahrungsentzug und Isolation. „Wir befürchten, dass einige der Geiseln psychisch völlig zusammenbrechen und in einem kritischen Zustand zurückkehren werden“, sagt die Psychoanalytikerin Iris Gavrieli Rahabi. Besonders große Sorgen macht sich sich um die jungen Frauen. „Wir wissen aus den Berichten von bereits befreiten Frauen, dass einige von ihnen als Sex- und Haussklavinnen missbraucht wurden“, sagt Rahabi. Einige könnten schwanger sein.
Bei den meisten werde es Jahre dauern, bis sie auch psychisch wieder gesund sind, sagt der Mediziner Blumenfeld.