Schlottern in Berlin die Knie?

von Redaktion

Olaf Scholz im Oval Office: Ob der Kanzler dort vor der Bundestagswahl am 23. Februar noch einmal Platz nimmt? © Capital Pictures

München – Als Donald Trump gestern Mittag in Washington zum zweiten Mal seinen Amtseid ablegte, wurde Deutschland durch einen Repräsentanten vertreten, von dessen Existenz die meisten Bundesbürger erst am Morgen erfahren hatten. Andreas Michaelis, Berlins Botschafter vor Ort. Die Deutschen hörten aber nicht von ihm, weil er dem „Tagesspiegel“ vorab ein paar getragene Sätze übermittelt hatte. Zum Beispiel: „An diesem Tag wird für uns besonders deutlich, wie wichtig die Fortsetzung einer engen und guten Zusammenarbeit zwischen den USA und Deutschland ist.“ Nein: Michaelis hatte einen sogenannten Drahtbericht nach Berlin übermittelt. Ungeschönte, wenig diplomatische Einschätzungen. Das Problem: Das Schreiben des erfahrenen Botschafters wurde öffentlich.

Die Agenda Trump 2.0 bedeute „maximale Disruption, Aufbrechen etablierter politischer Ordnung und bürokratischer Strukturen“, dazu kämen „Rachepläne“, die letztlich eine „Neudefinition der verfassungsrechtlichen Ordnung“ brächten. Es drohe eine „maximale Machtkonzentration“ beim Präsidenten, warnt Michaelis, der seit 1989 im Auswärtigen Dienst ist. „Demokratische Grundprinzipien sowie checks and balances (Kontrolle und Ausgleich) werden weitestgehend ausgehebelt, Legislative, Gesetzesvollzug sowie Medien ihrer Unabhängigkeit beraubt und als politischer Arm missbraucht, Big-Tech erhält Mitregierungsgewalt.“

Das ist also die deutsche Experten-Einschätzung, auf deren Grundlage sich die Politik eine Meinung bilden soll. Die AfD entschied sich für eine Reise vor Ort. Ihr Chef Tino Chrupalla erklärte vorab im ZDF, man werde viele Gespräche mit Republikanern und mit deutschen Wirtschaftsvertretern führen. „Man muss auf Augenhöhe auch die Unterschiede natürlich kenntlich machen, auch unsere Interessen und die deutschen Interessen auch klar definieren.“ Die AfD setzt beispielsweise weiter auf russisches Gas, was in den USA nicht gut ankommen dürfte.

Eingeladen zur Amtseinführung waren auch die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und der argentinische Präsident Javier Milei. Eigentlich ist es nicht üblich, dass deutsche Politiker an der Zeremonie teilnehmen. Neben der AfD reiste nur der außenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion der CDU/CSU, Jürgen Hardt, nach Washington. Ein Vergleich zur Amtseinführung von Joe Biden ist kaum möglich: 2021 fand die Veranstaltung wegen der Corona-Pandemie nur sehr reduziert statt. Keine Parade, keine Bälle, keine Zuschauer.

Von CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz bekommt Trump immerhin einen handgeschriebenen Brief. „Wir sollten die neue Amtszeit von Donald Trump als Chance begreifen, ein neues Kapitel in den europäisch-amerikanischen Beziehungen aufzuschlagen“, sagte Merz vorab. Im Falle seiner Wahl zum Bundeskanzler wolle er Trump daher vorschlagen, „einen neuen Anlauf für ein transatlantisches Freihandelsabkommen zu unternehmen. Davon würden beide Seiten profitieren.“

Europa dürfe künftig „nicht mit schlotternden Knien nach Washington fahren“, findet Merz. Damit klingt er zunächst gar nicht so anders als Olaf Scholz, der allen empfiehlt, „immer einen geraden Rücken“ zu behalten. Doch der Kanzler lässt deutlich größere Distanz erkennen. Trumps Überlegungen, nach Grönland, dem Panamakanal und womöglich gar Kanada zu greifen, beschied er eine kühle Absage. „Das Prinzip der Unverletzlichkeit von Grenzen gilt für jedes Land.“ Vielleicht hat er noch im Hinterkopf, wie sein Vorgänger Gerhard Schröder im Wahlkampf 2002 mit USA-Kritik (und dem Nein zum Irak-Krieg) punkten konnte. Nach dem Wahlsieg wurde der junge Scholz Schröders SPD-General.

Der Wahlkämpfer Scholz im Jahr 2025 setzt jedoch nicht auf totale Konfrontation. Er hofft noch auf eine Einladung nach Washington.

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