Eiszeit für den Klimaschutz

von Redaktion

2019 in der Zugspitzregion: Thorsten Glauber und Markus Söder. © Peter Kneffel/dpa

München – Es war eine Panne, ein Verplappern, aber sie passt perfekt in die Zeit. Man habe das Klimaziel 2040 schon intern „kassiert“, plauderte Hubert Aiwanger vor zwei Wochen aus. Das Gesetz sei längst geändert, feixte er, das habe nur keiner mitbekommen. Die Zuhörer stutzten: Gesetz geändert? Klimaziel gekippt? Und trotz einer Staatsregierung, die sonst jedes neu errichtete Vogelhäuschen mit einem Festakt feiert, soll das keiner gemerkt haben? Kann nicht sein!

Kann sein. Nur zur Hälfte lag Aiwanger falsch. Zwar gilt noch das bisherige Gesetz, den Freistaat bis 2040 rechnerisch klimaneutral zu machen – aber intern hat die Regierung aus CSU und Freien Wählern das Ziel tatsächlich verschoben. 2045 reicht, regelte das Kabinett, wollte das aber noch vertraulich halten. Durch den Aiwanger-Wirbel kam das ans Licht, auch Ministerpräsident Markus Söder hat die 2045-Zahl dann bestätigt.

In der Landespolitik gibt es dazu einige Aufregung. Heute zitiert der Wirtschaftsausschuss des Landtags Aiwanger zu sich und verlangt einen Bericht. Über einen „Geheimbeschluss“ und „Mauschelei“ schimpfen die Grünen, die am ehrgeizigeren 2040-Ziel festhalten wollen. Die Konfliktlinien laufen allerdings nicht so eindeutig. In der Staatsregierung kann man einen recht gequält dreinschauenden Umweltminister beobachten. In diesem Amt müsse man „leidensfähig sein“, sagte Thorsten Glauber (FW) dem BR. Beim Klimaschutz dürfe es „kein Nachlassen geben“. Er hat da seine Fraktion hinter sich, ist zu hören. Andererseits gibt es in der Opposition Politiker, die diese Verschiebung achselzuckend hinnehmen. „Wenn‘s der Wirtschaft nutzt“, könne man das schon ein paar Jahre strecken, verkündete SPD-Fraktionschef Holger Grießhammer.

Genau da liegt die Schlüsselfrage – wie viel Klimaschutz ist drin, ohne die kriselnde Wirtschaft kurzfristig zu belasten? Oder in Aiwangers Worten: „Sonst sind wir grün, aber wirtschaftlich tot.“ Experten und Aktivisten kontern, ein Nachgeben beim Ziel sei „angesichts der dramatischeren Beschleunigung der Erhitzung des Klimas absolut unverantwortlich“ (Greenpeace Bayern). Die Bürger sehen Umweltschutz und Klimawandel im Januar-Bayerntrend des BR aber nur auf Platz drei der Prioritäten (17 Prozent), weit hinter Wirtschaft (38) und Migration (36). Eine bundesweite Umfrage der Europäischen Investitionsbank im November ergab: 92 Prozent der Deutschen halten eine Anpassung an den Klimawandel für notwendig. Nur 40 Prozent sagen, das Thema habe für sie Priorität.

Der Fokus ändert sich auf allen politischen Ebenen. US-Präsident Donald Trump ist auch deshalb gewählt worden, weil er Vorrang für die Wirtschaft propagiert hat. Am ersten Tag im Amt verfügte er den Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen. „Abzocke“ der Vereinigten Staaten sieht er darin – und zweifelt den Klimawandel insgesamt an.

In Europa gibt es diese Fundamental-Zweifel an der Wissenschaft nicht, aber eine ähnliche Wende. Der „Green Deal“ der EU-Kommission aus 2020/21, Neutralitätsziel 2050, wird neu verhandelt. Das Verbrenner-Aus fällt. Ebenso zeigen die Wahlprogramme für die Bundestagswahl, dass keine deutsche Partei das Klima allein ganz nach vorne stellt. Erster Punkt auch bei den Grünen, ehe sie umfangreich auf Ökologie eingehen: „Eine starke Wirtschaft für sichere Jobs.“ Die SPD pocht darauf, Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit zu verbinden. Die CSU im Bundestag hat bei ihrer Seeon-Klausur sogar beschlossen, Klimaschutz nur noch zu unterstützen, wenn er keine Jobs kostet. Man müsse „Klimaschutzmaßnahmen einem Arbeitsplatz-Check unterziehen“.

Zurück nach Bayern: Trotz aller Kehrtwenden wird im weißblauen „Klimaschutzgesetz“ vorerst die Zahl 2040 stehen bleiben. Das Verfahren, ein Gesetz zu ändern, ist mühselig, das muss ja auch erst in mehrere Lesungen durch den Landtag gehen. Die 12 000 Unterschriften, die die Grünen bisher für den Erhalt des ehrgeizigeren Ziels gesammelt haben, spielen dabei keine Rolle, sie haben nur symbolischen Wert. Wichtiger ist: Umweltminister Glauber zeigt beim Einleiten eines Gesetzesverfahrens keinerlei Eile. Er will die Bundestagswahl abwarten und die neue Regierung in Berlin. Das kann dauern.

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