Streit um Merz‘ Asyl-Anträge

von Redaktion

Die Grünen-Spitze sehr heiter auf der Groß-Demo. Hinten Luisa Neubauer mit Pappkarton, vorne unter anderem Michael Kellner, Felix Banaszak, Katrin Göring-Eckardt und Ministerin Lisa Paus. © Auf x von franziska brantner

München/Berlin – Es ist später Samstagabend, als in Berlin einige Kinnladen herunterklappen. Im Internet machen zwei Dokumente die Runde, und fast jeden Leser dürften sie überraschen. Es sind die Entwürfe für Anträge an den Bundestag, mit denen CDU und CSU nächste Woche ihre harte Linie in der Migrationspolitik – Grenzen dicht, Abschiebehaft unbegrenzt – zur Abstimmung stellen wollen. Sie sind so formuliert, dass AfD und BSW eine Zustimmung praktisch unmöglich ist. Nun hängt es an SPD und Grünen, ob sich eine Mehrheit in der Mitte findet.

„Wer die illegale Migration bekämpft, entzieht auch Populisten ihre politische Arbeitsgrundlage“, schreiben CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt darin. Sie greifen die AfD frontal an: Sie schüre Fremdenfeindlichkeit auf Basis von „Problemen, Sorgen und Ängsten, die durch massenhafte illegale Migration entstanden sind“, bringe Verschwörungstheorien in Umlauf und werde Deutschland mit EU- und Euro-Austritt ruinieren. „Diese Partei ist kein Partner, sondern unser politischer Gegner.“ Für die russlandfreundlichen BSW-Genossen finden sich harte Formeln gegen „den russischen Diktator Putin“ im Vorspann.

Die Botschaft: Die Union will eine drastische Wende beim Asyl, aber sie biedert sich dafür nicht AfD oder BSW an – jenen Parteien, ohne die Union und FDP keine Mehrheit gegen Rote und Grüne bekämen. Ist das nun Rückgrat? Oder ein Einknicken? Die Dokumente platzen in ein Wochenende, an dem heftig diskutiert wird, ob Merz mit seiner Migrationspolitik plötzlich entgegen allen Versprechen die „Brandmauer“ zur AfD einreißen wolle. Auch die CDU ringt darum. Zwar stellten sich alle relevanten Landespolitiker, darunter die Ministerpräsidenten und auch liberalere Landesminister, offen hinter Merz. Doch an der Basis gab es manche, die mit dem Kurs hadern. Für heute ist eilig eine Bundesvorstandssitzung der CDU einberufen.

Taktisch hat die Union den Spieß nun umgedreht. Offenbar plante ja die AfD, die CDU-Inhalte wortgleich zur Abstimmung zu stellen, um Merz vorzuführen. Jetzt steht plötzlich die AfD vor dem Dilemma: Soll sie für einen Antrag stimmen, in dem sie scharf kritisiert wird, oder gegen ihre teils deckungsgleichen Forderungen für eine Asylwende? Zumal Parteichefin Alice Weidel ja bereits eine Zustimmung schriftlich angeboten hatte, ehe sie den Text kannte.

Auch in anderen Parteien rumort es. Bayerns Freie Wähler sind komplett uneins über den Vorstoß der Union. Es sei richtig, Rot-Grün nun zum Schwur zu zwingen, sagte Landeschef Hubert Aiwanger, allmählich drohe eine „Verfassungskrise“. Der Fraktionsvorsitzende Florian Streibl hingegen sagte dem BR vor Bekanntwerden der genauen Texte: „Wenn die Union die Brandmauer gegen rechts eigenständig infrage stellt oder sogar einreißt, wäre dies der brutalstmögliche Sündenfall nach 1945. Gott schütze uns davor.“

In der Sache heißt das nun wohl: Die Anträge nächste Woche werden scheitern. Bisher deutet nichts darauf hin, dass SPD und Grüne zu Korrekturen der Migrationspolitik bereit sind. Die Unions-Pläne seien mit Grundgesetz und europäischen Verträgen nicht vereinbar, behauptet Kanzler Olaf Scholz (SPD). Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) hat für Merz ein vergiftetes Angebot: Er werde ihn nicht öffentlich mit „Häme“ übergießen, falls er seinen Vorschlag komplett zurücknehme.

Die Grünen sorgen auch für Aufsehen, weil sie sich einer Großdemonstration vor dem Brandenburger Tor anschlossen, wo ein „Lichtermeer“ gegen die CDU-Pläne, einen Rechtsruck insgesamt und die angebliche Kooperation mit der AfD geplant war. Die Parteichefs Felix Banaszak, Franziska Brantner und mehrere Regierungspolitiker veröffentlichten ein Selfie, lachend gemeinsam mit der Klimaaktivistin Luisa Neubauer. Sie hielt einen Pappkarton mit der Aufschrift „Sie haben Hass, wir haben Haltung“ in die Kamera.

Am Mittwoch könnte es nun im Bundestag spannend werden. Der genaue Plan für die Antragsdebatte steht noch nicht, doch Scholz hat eine Regierungserklärung zur Innenpolitik angesetzt, um aus der Defensive zu kommen.

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