Letzte Drohgebärden: Noch kurz vor ihrer Freilassung wird die sichtlich eingeschüchterte Arbel Yehud durch die schreiende Menschenmenge geführt. © HAITHAM IMAD/epa
München – Der gestrige Tag war in Israel ein Tag der Freude, einerseits. Zum dritten Mal ließ die Hamas Geiseln frei, neben einer Soldatin und fünf thailändischen Arbeitern waren auch die Deutsch-Israelis Arbel Yehud (29) und Gadi Moses (80) darunter. Erneut machten die Islamisten aus der Übergabe eine Machtdemonstration, bei der sie aggressive Botschaften verbreiteten, die Geiseln auf einer Bühne vorführten und zuließen, dass eine wütende Menge sie herumschubste. Als Reaktion verschob Israels Regierung die vereinbarte Freilassung palästinensischer Häftlinge, bis am Abend Sicherheitsgarantien für künftige Übergaben vorlagen. Und doch war die Erleichterung groß, dass die Qual wieder für einige beendet ist.
Gleichzeitig ist der 30. Januar ein einschneidendes Datum für die Aufarbeitung des Angriffs vom Herbst 2023. Seit gestern gilt in Israel ein Betätigungsverbot für das UN-Hilfswerk UNRWA. Weder darf die Organisation, die im Gazastreifen rund 13 000 Mitarbeiter hat, weiter eine Vertretung auf israelischem Territorium betreiben noch Dienstleistungen anbieten. Behörden stellen jeden Kontakt zur UNRWA ein.
In die Kritik geriet das Hilfswerk schon bald nach dem Massaker vom 7. Oktober, weil auch UNRWA-Mitarbeiter darin verwickelt gewesen sein sollen. Ein Video zeigt einen Mann, angeblich einen Sozialarbeiter, der die Leiche eines Israelis in ein Auto trägt, um sie in den Gazastreifen zu verschleppen. In Jerusalem geht man davon aus, dass bis zu 1500 Mitarbeiter Hamas-Mitglieder sind. Konkret veröffentlichte die Regierung eine Liste mit 108 Namen. Geiseln sollen zudem in UNRWA-Einrichtungen versteckt worden sein.
16 Länder, darunter Deutschland, stellten deshalb vor einem Jahr, als die Vorwürfe immer detaillierter wurden, ihre Unterstützung vorübergehend ein. Nach internen Untersuchungen, mehreren Entlassungen und der Ankündigung von Reformen nahmen die meisten die Zahlungen wieder auf. Lediglich die USA verweigern sie weiterhin, Schweden stellte seine Unterstützung zum Jahresende ganz ein. Die Bundesregierung überwies 2023 rund 200 Millionen Euro an die UNRWA, davon waren 83 Millionen für den Gazastreifen bestimmt.
Das Betätigungsverbot ist für das Werk, das sich seit 1950 um die Belange palästinensischer Flüchtlinge kümmert, ein schwerer Schlag. Die UNRWA ist auf eine reibungslose Zusammenarbeit angewiesen, weil Israel sämtliche Zugänge zu den besetzten Gebieten kontrolliert. Offiziell ist den Mitarbeitern zwar der Einsatz im Gazastreifen nicht verboten, in der Praxis dürfte er aber schwierig werden. Hinzu kommen bürokratische Hürden, etwa bei der Visavergabe.
Der Sprecher von UN-Generalsekretär António Guterres, Stéphane Dujarric, kündigte am Donnerstagabend an, man wolle die Arbeit nicht einstellen. „UNRWA-Kliniken im gesamten besetzten Westjordanland, einschließlich Ost-Jerusalem, sind geöffnet“, sagte Dujarric. Humanitären Einsätze im Gazastreifen würden fortgesetzt werden. Das Hauptquartier in Ost-Jerusalem sei aber geräumt worden. Zuvor nannte UNRWA-Chef Philippe Lazzarini die Entscheidung verheerend.
Völkerrechtlich ist die Entscheidung heikel. Ein Gutachten des Schweizer Außenministeriums urteilt, dass Israel als Besatzungsmacht verpflichtet sei, die Versorgung im Gazastreifen mit Lebensmitteln und Medikamenten sicherzustellen. UNRWA sei dafür der zentrale Akteur, eine Alternative gibt es trotz Ankündigungen Israels nicht. Konkreter sind die Planungen für das Gelände in Ost-Jerusalem, auf dem die UNRWA bisher ein Regionalbüro unterhielt. Hier will die Regierung mehr als 1400 Wohnungen für Siedler errichten.