Geschichte wird interessant, wenn sie lebendig gelebt wird. Darin ist die kleine Stadt Verden groß. Sie hat knapp 30 000 Einwohner und liegt an der Einmündung der Aller in die Weser. Im liebevoll gepflegten Historischen Museum dort ist eines der ältesten Holz-Werkzeuge der Menschheit zu bestaunen, die „Lanze von Lehringen“. Gefunden im Skelett eines Waldelefanten macht sie ein Jagdgeschehen lebendig, das vor 120 000 Jahren Menschen der Neandertaler-Spezies geführt haben. In Norddeutschland war es damals so warm, dass an Weser und Aller Elefanten leben konnten. Da staunen unsere Klima-Aktivisten, denn menschengemacht war an dieser Wärmezeit garantiert nichts.
Im Museum hängt aber auch ein Bild des Verdener Stadtjuristen Friedrich Lang (1778-1859). Auf ihn ist man zu Recht stolz. 1848 stand er als Alterspräsident des Paulskirchen-Parlamentes sozusagen an der Wiege der deutschen Demokratie. Unsere Geschichte wäre glücklicher verlaufen, wenn aus dem Paulskirchen-Parlament direkt ein demokratischer Staat entstanden wäre.
Wie überall in Deutschland hat aber auch die Geschichte der Stadt Verden während der Zeit des Nationalsozialismus ihre dunklen Seiten. Der Rassenwahn fing dort damit an, dass die Opfer eines „Blutgerichtes“, das Karl der Große in Verden abgehalten haben soll, hochstilisiert wurden zu „nordischen“ Sachsen als urdeutschen Märtyrern fremder fränkischer Herrschaft. Das ist zum Glück vergessen.
Lebendig gelebt aber wird in Verden die Erinnerung an das jüdische Erbe. Die Museumsleiterin Frauke Müller hat dazu in dieser Woche ein von Alexander Dettmar gemaltes Bild in ihre Sammlung aufgenommen. Es zeigt die 1858 in Verden eingeweihte Synagoge. 1938 fiel auch dieses Gotteshaus in Schutt und Asche, angezündet von nationalsozialistischen Brandstiftern in der von Goebbels im alten Münchener Rathaus befeuerten „Reichspogromnacht“.
In einer kleinen Feierstunde im Museum erinnerte Verdens Bürgermeister Lutz Brockmann an das Leid, das die Nationalsozialisten über Verdener jüdische Mitbürger gebracht haben. Die Stadt pflegt seit Langem die Verbindung zu einigen Verdener Holocaust-Überlebenden. Aus deren Besuchen seien schnell dauernde Freundschaften entstanden. Im Anschluss zogen die Gäste durch die Innenstadt. Bei einem Rundgang entlang der Großen Straße zu ehemals von jüdischen Mitbürgern bewohnten Häusern trugen Schülerinnen und Schüler des Domgymnasiums vor, was sie zu diesen Opfern des Nationalsozialismus im Stadtarchiv recherchiert hatten. Die Tour endete am Mahnmal der jüdischen Vertreibung, das die Stadt neben dem Rathaus errichtet hat.
Gedenken und politische Gegenwart vereinigten sich, als alle, Jung wie Alt, sich die Hand reichten zu einer großen Menschenkette. Einige der älteren Teilnehmerinnen trugen stolz eine Plakette „Omas gegen Rechts“. Und obwohl dies keine politische Demonstration war, wurde aus der Erinnerung an die jüdische Mord-Vertreibung ein Bekenntnis zu Demokratie, Rechtsstaat und gegen alle Arten von Vorurteilen. Es gibt einfach keine Menschen zweiter Klasse. Ausländer, die hier Schutz suchen, sollten uns weiter willkommen sein im Rahmen der bestehenden Gesetze. Die müssen aber auch vollzogen werden.
Schreiben Sie an:
ippen@ovb.net