Abbruchstimmung: Nicht alle beneiden gerade FDP-Chef Christian Lindner um seinen Job. © SZ Photo
München – Christian Dürr klingt wie einer, der das Land zusammenhalten will. Links und rechts tobt aufgeregt die Debatte um Migration und AfD. Der Fraktionschef der Liberalen aber unternimmt noch einmal einen Vorstoß zur Einigung in der Mitte. „Wir befinden uns in einer Lage, in der es um die Glaubwürdigkeit aller Parteien der Mitte geht“, schreibt der FDP-Fraktionschef in einem Brief an die Kollegen von SPD, Union und Grünen. „Wenn wir nicht wollen, dass Populisten und Radikale am Ende als Sieger hervorgehen, müssen wir jetzt zeigen, dass wir zu Lösungen aus der Mitte heraus imstande sind.“ Die FDP wolle Brücken bauen: Die Fraktionen sollten sich noch einmal zusammensetzen, um noch vor der Wahl eine gemeinsame Linie bei der Migration hinzubekommen.
Vielleicht klingt Christian Dürr aber auch nur wie einer, der seine Partei zusammenhalten will. Die Abstimmung über das „Zustrombegrenzungsgesetz“ am Freitag hat Spuren hinterlassen: Zwar stimmten 67 Abgeordnete mit der Fraktionsspitze für den Entwurf, aber neben zwei Nein-Stimmen und fünf Enthaltungen gab es auch 16 FDP-Parlamentarier, die der Abstimmung fern blieben. Nicht alle aus taktischen Gründen: Generalsekretär Marco Buschmann war krank, der bayerische Landesgruppenchef Karsten Klein musste zu einer großen Wahlkampfveranstaltung nach Aschaffenburg – jener Stadt, in der der schreckliche Messerangriff stattfand, der die Debatte erst eskalieren ließ. Auffällig war aber, dass viele Freunde der gescheiterten Ampel nicht abstimmten: unter anderem die Fraktions-Vize Johannes Vogel, Konstantin Kuhle und Lukas Köhler.
Nun liegen intern die Nerven blank. Wie berichtet stach jemand den Wutausbruch von Wolfgang Kubicki („Ich räume schon mal mein Büro auf“) aus einem internen Chat durch. Auch anderswo kritisieren sich Parteifreunde in internen Nachrichten mit harschen Worten. Marie-Agnes Strack-Zimmermann erklärte, sie hätte sich „an der Abstimmung auch nicht beteiligt, schlichtweg, weil ich nichts mit der AfD machen werde“. Gestern bretterte nun noch der ehemalige Münchner Abgeordnete Thomas Sattelberger in die Debatte. Die FDP werde die Fünf-Prozent-Hürde kaum knacken, prognostizierte er via „Bild“. „Die Abstimmung am Freitag war ihr Sargnagel.“ Schuld sei Parteichef Christian Lindner, der eine Politik des zu späten Handelns betreibe. „Er erklärt sich erst, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist.“
Der aufbrechende Streit zeigt die Zerrissenheit, die die Liberalen seit Jahren nicht in den Griff bekommen. Hier die Gruppe der konservativen Wirtschaftsliberalen, dort die liberale Bürgerrechtsfraktion. Von außen betrachtet trennt sie nicht viel – intern aber scheinen die Hürden riesig. Immer wieder wird das öffentlich. Vor einem Jahr stimmten bei der Mitgliederbefragung 52,24 Prozent für einen Ampel-Verbleib, aber immerhin 47,76 für den Austritt. In Bayern setzte sich im November Landeschef Martin Hagen nur knapp mit 210 zu 182 Stimmen gegen Herausforderer Albert Duin durch. Der hatte sich bereits Ende 2023 seinen ganzen Ampel-Frust in einem Brief an Lindner von der Seele geschrieben. „Die Bürger sind nicht so blöd, wie manche Politiker es glauben.“ Auch viele FDP-Mitglieder wenden sich ab: 2022 schrumpfte die Partei um 900 Mitglieder, ein Jahr später um 4280 und 2024 um weitere 3650.
Nun herrscht in der Partei Sorge, die Debatte könne am Sonntag auf dem Parteitag in Potsdam eskalieren. Eigentlich war das Treffen nur zur Verabschiedung des Wahlprogramms und als Motivationsschub gedacht. Aber jetzt? Viele Mitglieder sind Freunde der freien Rede – und leben das bei Treffen auch mal aus. „Ich hoffe, dass sich alle zusammenreißen“, raunt einer der Strategen.
Um den konservativen Flügel zu beruhigen, zog Lindner bereits eine Ankündigung vor, die erst für den Parteitag vorgesehen war: Eine neuerliche Zusammenarbeit mit den Grünen soll per Beschluss ausgeschlossen werden.
Ob das alle besänftigt?