Intrige gegen den Kanzler

von Redaktion

Mehr Disziplin als Euphorie: Die SPD-Spitze, darunter Lars Klingbeil (r.), sammelt sich hinter dem Kanzler. © Kay Nietfeld/dpa

Berlin/München – Politik produziert gern schöne Parteitags-Bilder. Es gibt da jenes von Januar, Olaf Scholz steht mit einem knallroten Blumenstrauß auf der Bühne und winkt in die Menge. Hinter ihm versammeln sich im Halbkreis der Generalsekretär, die Parteichefs und der Fraktionsvorsitzende, sie beklatschen emsig den frisch nominierten Kanzlerkandidaten. So viel rote Harmonie! Aber wie viel davon ist echt, wie viel gespielt?

Medienberichte aus dieser Woche legen nahe: Allzu unbesorgt sollte Scholz den obersten Genossen nicht den Rücken zuwenden. Noch im November sollen mehrere aus dieser Runde den Kanzler eindringlich gebeten haben, nicht mehr anzutreten. Laut Recherchen von „Tagesspiegel“ und „t-online“ wurde SPD-Chef Lars Klingbeil mindestens zweimal bei Scholz vorstellig, um ihn vom Verzicht zu überzeugen. Klingbeil, die Co-Vorsitzende Saskia Esken und Generalsekretär Matthias Miersch seien überzeugt gewesen, mit Scholz die Wahl nicht mehr zu gewinnen.

„Jemand muss mit Olaf reden“

Sonderlich überraschend ist diese Perspektive nicht. Im November war die Ampel frisch zerbrochen, die SPD lag in seriösen Umfragen bei 14 Prozent, hatte mehrere Landtagswahlen verloren. Der ARD-Deutschlandtrend ermittelte 20 Prozent Zufriedenheit mit Scholz, letzter Platz in einem Ranking mit Friedrich Merz, Robert Habeck, ja sogar Alice Weidel, Sahra Wagenknecht und Christian Lindner. Auf Platz 1 mit 61 Prozent: Boris Pistorius.

Um den populäreren Verteidigungsminister drehten sich in jenen Novembertagen die Spekulationen. Laut den neuen Berichten waren damals große Teile der SPD-Spitze der Meinung, nur Pistorius habe bei Neuwahlen eine Chance. Der engere Fraktionsvorstand soll Mitte November vereinbart haben: „Jemand muss mit Olaf reden.“ Gespräche gab es mehrere. Parallel dazu meldeten sich erfahrene Kommunalpolitiker wie Münchens OB Dieter Reiter mit Pro-Pistorius-Sätzen, auch Ex-Parteichef Franz Müntefering ging in diese Richtung – aber Scholz blieb hart und behielt die Nerven. Seine These: Schon 2021 hat er gegen alle Erwartungen auf den letzten Metern aufgeholt.

Der Rest ist bekannt: Nach hektischen Tagen zog Pistorius am 21. November die Notbremse. Er nahm ein Drei-Minuten-Video auf, stellte klar, nicht zu kandidieren. „Es ist meine souveräne und ganz eigene Entscheidung.“ Scholz sei in Zeiten globaler Umbrüche ein „hervorragender Bundeskanzler“. Was er nie aussprach: Eine offene Schlacht gegen Scholz brächte wohl nur Verlierer.

Was jetzt noch überrascht, ist der Zeitpunkt der Veröffentlichung, genau zum Start der Briefwahl. Die Entscheidung für Scholz ist ja durch alle Gremien, nicht mehr reversibel. Die nächste Machtprobe steht in der Partei erst an, falls die Wahl wie befürchtet hoch verloren geht. Dann dürfte es sogar kräftig rumpeln zwischen Pistorius, dem ebenfalls ambitionierten Klingbeil und Vertretern des linken Flügels rund um Mützenich, wer künftig das Sagen hat und/oder als Vizekanzler in eine Koalition eintritt. Warum und woher nun die Indiskretion? Hilft es Klingbeil für die Zeit ab 23. Februar, 18 Uhr, wenn schon vor einer möglichen Wahlklatsche öffentlich klar ist, dass er auf Distanz zu Scholz gegangen ist? Der Parteichef lässt ohne nähere Details ausrichten, die Darstellung von „Tagesspiegel“ und „t-online“ sei „falsch“. Scholz dementiert ebenfalls. Ein solches Gespräch zwischen ihm und Klingbeil habe es „nie gegeben“.

Mit Neugier schauen nun alle Parteien auf die Umfragen heute und morgen: In rascher Abfolge kommen ein neuer ARD-Deutschlandtrend, das ZDF-Politbarometer und eine Allensbach-Erhebung, es sind nur noch gut zwei Wochen bis zur Wahl. Es gibt ja nicht nur in der SPD interne Debatten; auch in der Union ist die Nervosität groß nach den Asyl-Abstimmungen von Merz mit Unterstützung der AfD. Und am Sonntag treffen die Kandidaten Scholz und Merz direkt aufeinander im ersten TV-Duell.

Umso lieber deutet die Union nun auf die Genossen, sie weiß ja noch von 2021, wie es mit einem Kandidaten läuft, der intern hoch umstritten ist. Entsprechend lustvoll kommentiert die CSU die Berliner Berichte. „Die SPD-Führung hat ausnahmsweise mal Recht“, sagt Generalsekretär Martin Huber: „Scholz kann es nicht.“

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