Wien in Wallung: Zehntausende demonstrierten am Dienstag gegen eine Regierungsbeteiligung der FPÖ. © Halada/AFP
Wien – „Es ist jetzt die Chance, die Verhandlungen abzubrechen.“ Mit diesem Appell versammelten sich am Dienstagabend zehntausende Wiener, um gegen eine mögliche Rechtsregierung für Österreich zu demonstrieren. Dass ein Deal zwischen der rechtspopulistischen FPÖ und der konservativen ÖVP zustande kommt, ist alles andere als fix: Noch während der Demo kursierten Gerüchte über eine „Verhandlungspause“, was beide Seiten jedoch dementierten. Man befände sich in einer „schwierigen Phase“, erklärte die ÖVP.
Gestern war Stichtag. Mit 129 Tagen hat die Regierungsbildung in Österreich Rekordlänge erreicht. Das lange Ringen folgt dem Scheitern der Gespräche zwischen ÖVP, SPÖ und den liberalen NEOS. Eine weitaus größere Schnittmenge sehen Experten bei FPÖ und ÖVP. Etwa beim Thema Asyl und Zuwanderung. Allerdings haben beide Seiten ein Vertrauensproblem. „Keine Seite traut der anderen über den Weg“, ahnt der „Standard“.
Mit FPÖ-Chef Herbert Kickl könnte Österreich bald seinen ersten rechten Regierungschef seit Ende des Zweiten Weltkriegs bekommen. Schon jetzt sorgt dieser mit seiner Auffassung von Rechtsstaatlichkeit für Aufsehen. So will die FPÖ die Finanzierung des ORF massiv einschränken. Gefördert werden sollten künftig auch parteinahe Medien.
Neben ideologischen Gräben droht eine Koalition an den Forderungen der FPÖ zu scheitern. Dazu gehört neben einer Bankenabgabe, um das Budgetloch zu stopfen, eine „ehrliche Analyse der Fehlentscheidungen der Corona-Zeit“, so Kickl. Der FPÖ-Vorsitzende war einer der lautstärksten Gegner der staatlichen Covid-19-Maßnahmen.
Eine Gruppe ehemaliger ranghoher Politiker wittert eine „Gefahr“ für das Land und fordert Alternativen zu einer FPÖ-Regierung. Eine Expertenregierung solle die Tagespolitik übernehmen, bis die politische Mitte wieder zusammenfinde. „Wir wollen weiter eine offene Gesellschaft und keine illiberale Demokratie“, erklärte Ex-Präsident Heinz Fischer.
Zurück an den Verhandlungstisch, forderte auch der bisherige Koalitionspartner der ÖVP, die Grünen: Die „konstruktiven Kräfte“ müssten die Gespräche wieder aufnehmen, um einen FPÖ-Kanzler zu verhindern. SPÖ und NEOS zeigen sich offen für erneute Verhandlungen. Weniger begeistert ist die ÖVP. Sollten die Gespräche mit der FPÖ scheitern, würde Österreich auf Neuwahlen zusteuern.
MARKUS SCHÖNHERR