Die Union und die Patt-Angst

von Redaktion

Aufatmen, vorerst: Im Deutschlandtrend steigt die Union von Friedrich Merz und Markus Söder leicht. © John Macdougall/AFP

München/Berlin – Wenn Markus Söder spricht, lohnt es sich, auf Zwischentöne zu achten, statt an Zufälle zu glauben. Nach 24 Stunden Nachdenken zu Friedrich Merz‘ denkwürdiger Asyl-Abstimmung von Freitag im Bundestag meldete sich der CSU-Chef spät, aber mit aufschlussreichen Sätzen zu Wort. Tenor: Merz‘ Leit-Entscheidung sei das gewesen und insgesamt „ein steiler Move“.

Die Formel wird in die Politik-Sprache eingehen, und sie passt. Denn „steil“ wird‘s nach dem Merz-Manöver mit der AfD, das war den Beteiligten klar – nur wusste keiner, ob steil rauf oder runter. Kluge Köpfe in CDU und CSU schildern, dass Merz‘ Helfer die letzten Tage äußerst angespannt auf Umfragen warteten. Söders Satz kann wahlweise als flammendes Lob in Jugendsprache oder als Distanzierung verstanden werden.

Seit gestern Abend, 18 Uhr, spricht vieles für die Variante Lob. Denn im ARD-Deutschlandtrend zeichnet sich für die Union ein kleiner Gewinn ab. In den Daten steigt sie ein Pünktchen auf 31 Prozent. SPD (15), Grüne (14) liegen weit dahinter, einzig die AfD (21) legt leicht zu; FDP (4), Linke (5) und BSW (4) sind auf der Kippe. Die persönlichen Werte von Merz, noch nie überragend, erholen sich, 32 Prozent sind mit ihm zufrieden (plus 4), da überholt er nun den Grünen Robert Habeck. 33 Prozent glauben, Merz wäre als Kanzler gut (plus 5). Seine Aktion, das Migrationsgesetz einzubringen, obwohl man auf AfD-Stimmen angewiesen ist, finden 44 Prozent akzeptabel, 49 Prozent nicht. Bei den Unionsanhängern sind 62 Prozent einverstanden. Dass er nie mit der AfD koalieren würde, glauben zumindest 44 Prozent aller von Infratest dimap Befragten (nein: 43).

Die sonst so selbstbewussten Unionsleute waren sich dessen überhaupt nicht sicher nach Tagen voll medialem Trommelfeuer; manch digitales Nachrichtenmagazin füllte seine Startseite komplett mit flammender Merz-Kritik. Dass sich Ex-Kanzlerin Angela Merkel vom Merz-Move distanzierte, machte europaweit Schlagzeilen. In vielen Städten sammelten sich Großdemos. „Ganz Berlin hasst die CDU“, wurde bei einem Aufmarsch (übrigens „gegen Hass und Hetze“) auf die Siegessäule projiziert. Und in München steht für Samstag eine Riesen-Demo auf der Theresienwiese an. Ein Umfrageknick in dieser Lage hätte nicht erstaunt.

Die passenden Debatten dazu hatten schon begonnen. Ist Merz als Kandidat der Richtige, raunten SPD-Ministerpräsidenten und stellten infrage, sich in eine Koalition unter seiner persönlichen Führung zu begeben. Was, wenn er die Wahl zwar gewinnen, aber wie die ÖVP in Österreich in der Mitte keinen Koalitionspartner finden würde? Dann, so orakelt der in Berlin viel gelesene „Politico“-Newsletter, könne Kanzler Olaf Scholz einfach bis in den März oder April hinein sitzen bleiben, eine vielleicht rot-rot-grüne Minderheitsregierung formen und sich im x-ten Wahlgang mit einfacher Mehrheit bestätigen lassen.

Rechtlich geht das, falls der Bundespräsident den „Minderheitskanzler“ dann auch ernennt. Bisher gab es so was noch nie, es klingt fern. Kenner würden es einen „steilen Move“ nennen. Konkret sind aber laut Deutschlandtrend die Sorgen, es werde keine stabile Regierung geben. Das fürchten 67 Prozent der Deutschen nach der Wahl, besonders hoch ist der Anteil mit 80 Prozent unter den Grünen – also jener Partei, mit der Merz und vor allem Söder keinesfalls wollen.

Und wenn Scholz einfach sitzen bleibt?

Merz reagiert auf die Patt-Angst nicht. Im Gegenteil: Er verschärft die Kritik an der FDP, ruft dazu auf, ihr keine Stimme zu spenden. „Vier Prozent sind vier Prozent zu viel.“ Er lehnt damit klar die schwarz-gelben Hoffnungen von FDP-Chef Christian Lindner ab. Wenn die Werte nun so bleiben – heute folgen zwei weitere wichtige Umfragen anderer Institute –, kann die Union entspannt in die heiße Wahlkampf- und Briefwahlphase gehen, unter anderem mit Merz‘ Rede beim kleinen CSU-Parteitag am Samstag in Nürnberg und mit dem ersten TV-Duell gegen Scholz am Sonntagabend.

Nur falls die Werte doch plötzlich stark sinken, sollte Merz aufhorchen, was Söder sonst noch so sagt. Kocht dann die K-Frage nach der Wahl wieder hoch, taucht der Bayer wieder vor dem Kanzleramt auf? In einem Interview („Straubinger Tagblatt“) erzählte Söder gestern beiläufig von einem seiner Lieblings-Schlager: „Hello Again“, das sei doch „ein Standardwerk für die Politik“.

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