Wenn die Grenze zur AfD verschwimmt

von Redaktion

Union bezieht für Migrationsanträge viel Prügel – Mitunter stimmt aber auch Rot-Grün mit AfD

Ein Blick in die AfD-Fraktion im Bundestag. © Kappeler/dpa

München – Verglichen mit Migration und Grenzschutz klangen die Themen, die zur Abstimmung standen, ein bisschen bescheidener. Mal ging es um die Abschaffung von Straßenbaubeiträgen, mal um die Förderung von Kleingartenverbänden oder eine Baumaßnahme an einer Rheinbrücke. In allen Fällen brauchte die SPD-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag Unterstützung für ihre Anliegen. Und sie bekam sie. Von der AfD.

Insgesamt 15-mal hätten die Sozialdemokraten seit 2017 von der in Teilen rechtsextremen Partei Zuspruch erhalten, beklagt der frühere CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach. Er reagierte damit auf die Debatte um die AfD-Zustimmung zu Friedrich Merz‘ Migrationsanträgen und die folgenden Proteste gegen seine Partei. Die Haltung der SPD nannte Bosbach „Heuchelei“.

Der Streit steht sinnbildlich für das schwierige, zuweilen unmögliche Unterfangen, Mehrheiten unter Ausschluss der Rechtspopulisten zu organisieren, die nach der Wahl im Bundestag ein Viertel der Abgeordneten stellen könnten. Ein Anliegen sei nicht deshalb unberechtigt, „weil die Falschen zustimmen“, hatte Merz vergangene Woche argumentiert.

Der Aufschrei war vor allem deshalb so laut, weil es die AfD war, die der Union die entscheidenden Stimmen beisteuerte. Im NRW-Landtag sei das anders gewesen, verteidigte sich der dortige SPD-Fraktionsvorsitzende und Oppositionsführer Jochen Ott im „Kölner Stadt-Anzeiger“. Es sei bekannt gewesen, „dass keiner dieser Anträge Aussicht auf eine Mehrheit hatte und sie auch nicht bekommen hat“.

Auf kommunaler Ebene sind die Grenzen längst fließend, die Debatte um eine Brandmauer wird dort oft als abstrakt wahrgenommen. Aber auch in den großen Parlamenten finden sich linke Parteien manchmal unfreiwillig in der Gesellschaft rechter und rechtsextremer Vertreter wieder. So stimmte im Europaparlament die Grünen-Fraktion im Ringen um einen schärferen Migrationspakt bei Schlüsselthemen mehrfach genauso ab wie der äußerste linke oder rechte Flügel. Ähnlich war es bei Fragen der Freizügigkeit, dem Stabilitätspakt oder der Digitalisierung im Gesundheitswesen.

Das Verhalten ist allerdings nur bedingt vergleichbar, weil es in Brüssel mehrere rechte Fraktionen in unterschiedlichen Schattierungen gibt. Italiens postfaschistische Regierungspartei Fratelli d‘Italia von Giorgia Meloni etwa gehört der Gruppe der Konservativen und Reformer an (EKR) und markiert noch lange nicht den rechten Rand.

Im Bundestag schlug zuletzt ein Fall Wellen, bei dem Abgeordnete von Rot-Grün so abstimmten wie einige der AfD. Anlass war der Abtreibungsparagraf 218, den die Union im Rechtsausschuss gerne von der Tagesordnung genommen hätte. Der Antrag scheiterte, weil zwei der vier AfD-Parlamentarier mit SPD und Grünen votierten – obwohl die Partei eine Reform des Paragrafen ablehnt. Doch die Aussicht, die bürgerliche Mitte aufzuwirbeln, war zu verlockend.

Wie schwierig der Umgang mit der Rechtspartei und ihren Manövern bleibt, zeigte sich vergangene Woche auch in Hessen. Dort fasste die SPD-Fraktion den einstimmigen Beschluss, dass die Landesregierung im Bundesrat keinem Gesetz zustimmen solle, das im Bundestag nur mit der AfD eine Mehrheit bekommen habe. Der Haken: Die SPD ist selbst Teil dieser schwarz-roten Regierung. Im Koalitionsvertrag hatte man sich darauf verständigt, bei Abstimmungen im Bundesrat „im Einvernehmen“ zu votieren.
MB

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