Deutungsschlacht ums Duell

von Redaktion

„Hier treffen sich Gestern und Vorgestern“, unken die Grünen über das Duell von Olaf Scholz (SPD) und Friedrich Merz (CDU). © Michael Kappeler/AFP

Berlin/München – Der haushohe Sieger holt sich wenige Minuten nach dem TV-Duell eine Flasche Bier. Aber wer von beiden ist das nun? Zu sehen ist Olaf Scholz mit einem Bier, zu sehen ist Friedrich Merz mit einem Bier, jeweils im Kreis ihrer Unterstützer, die ihren Kanzlerkandidaten als den klaren Gewinner feiern. Dass Regierungschef und Herausforderer nach einer Flasche greifen, verrät also wenig über den Sieger, aber viel über die Anspannung: Beide brauchen was, um die Nerven zu beruhigen. Und brechen dafür kurz ihr Gelübde, im Wahlkampf auf Bier und Wein zu verzichten.

Ob‘s für die Wähler ähnlich spannend war wie für die Kandidaten, sei dahingestellt. Doch der Druck auf Scholz wie Merz war hoch. Beide hatten viel zu verlieren mit einem misslungenen Auftritt. Am Tag danach urteilen die meisten Beobachter: Richtig versagt hat keiner. Doch über den Gewinner wird gestritten. In einer Eil-Umfrage will die Forschungsgruppe Wahlen für das ZDF ermittelt haben, dass 37 Prozent den SPD-Mann besser fanden, 34 Prozent den CDU-Kandidaten, 29 Prozent sahen beide auf Augenhöhe. Tendenz: Frauen und Jüngere fanden den Kanzler besser, Männer und Ältere den Herausforderer. Bei der Frage, wer mehr Sachverstand habe, lagen beide mit 36 Prozent gleichauf. Sympathischer fanden aber mit 46 Prozent deutlich mehr Scholz, Merz kam hier nur auf 27.

„Entspricht meinem Gefühl“, befand Scholz umgehend, dem die Daten um 22.20 Uhr von ZDF-Chefredakteurin Bettina Schausten zugeraunt wurden. Die Union hält das für wackelig, verbreitet, dass nur bis 21 Uhr befragt worden sei, also irgendwann mitten im laufenden Duell. Im „Persönlichkeitscheck“ sei Merz „eindeutig der Stärkere und Souveränere, dem man das Land besser anvertrauen kann“, sagt CSU-Chef Markus Söder. „Das Ding ist auserzählt, die Geschichte mit Olaf Scholz.“

Auffällig ist, dass sich beide offenbar gründlich auf den Auftritt vorbereitet und an eigenen Schwächen gearbeitet haben. Merz, der intern als durchaus reizbar gilt, fiel als staatstragender auf und ließ Provokationen abprallen. Scholz, dem eine gewisse rhetorische Langeweile nachgesagt wird, agierte bewusst kämpferischer. „Doof“ nannte er die Unions-Pläne für die Grenzen, „lächerlich“ jene zur Finanzierung des Wehretats. „Ich finde, Sie reden drumrum und deshalb erzählen Sie was Falsches“, fuhr er Merz an einer Stelle an.

Die Nicht-Teilnehmer haben freilich auch ein klares Urteil. FDP-Chef Christian Lindner hält, nicht ganz überraschend, beide Duellanten für schwach. „Merz bleibt ungewöhnlich blass zur Wirtschaftswende und ambivalent zu Grünen“, Scholz wirke „dynamisch, aber abgekoppelt von dem, was in Wahrheit in seiner Regierung lief“. Grünen-Chef Felix Banaszak spottet: „Wir haben ein spannendes Duell zwischen dem Gestern und dem Vorgestern erleben dürfen.“ Die „zentrale Überlebensfrage“ unserer und kommender Generationen, die Klimakrise, habe keinen Raum in der 90-minütigen Diskussion gehabt. BSW-Patronin Sahra Wagenknecht urteilt: „Ein Ego-Duell zweier älterer Herren, Not gegen Elend.“

Das Urteil der Medien: ebenfalls durchwachsen. „Ein Wahlkampf wie eine Mathe-Olympiade“, spottet etwa „Spiegel online“ unter der Überschrift: „Graf Zahl trifft auf SPD-Kassenwart“. Die „FAZ“ witzelt über „Olaf-Friedrich Merzscholz“. Die „SZ“ sieht Scholz knapp vorn, die „Zeit“ findet ihn „souverän, kämpferisch“, die „NZZ“ nur „passabel“, „Bild“ schreibt, das sei „zu wenig, um Merz ernsthaft in Bedrängnis zu bringen“.

Die Reichweite des Duells auf dem populären „Tatort“-Sendeplatz war sehr groß. 12,26 Millionen schauten bei ARD und ZDF zu, das sind über 40 Prozent Marktanteil, Mediathek und Spartensender noch nicht eingerechnet. Das ist viel, zumal das Dschungel-Finale parallel lief (4,42 Millionen). Zum Vergleich: Das Triell 2021 schauten 10,87 Millionen. Mehrere weitere Rededuelle folgen in den nächsten Tagen. Geplant ist auch eine Vierer-Runde auf RTL am Sonntag mit Scholz, Merz, Alice Weidel (AfD) und Robert Habeck (Grüne).

Artikel 1 von 11