Kann das noch was werden? Die Verhandlungen zwischen ÖVP-Chef Christian Stocker (l.) und FPÖ-Chef Herbert Kickl sind ins Stocken geraten. © Helmut Fohringer/dpa
München – Ihr Urteil ist hart, aber man kann es ihr nicht verdenken. Mit „Ratlosigkeit, Sorge, Frustration und Ärger“ blicke sie auf die Koalitionsgespräche zwischen FPÖ und ÖVP, sagt Beate Meindl-Reisinger. Die Verhandlungen seien eine „Inszenierung“ des „selbst ernannten Führers“ Herbert Kickl mit dem Ziel, die ÖVP zu demütigen. Sie spricht von einer „Tyrannei der FPÖ“, wendet sich dann an die Konservativen: Die ÖVP sei Kickl nicht ausgeliefert, im Gegenteil – ihr „stehen alle Türen offen“.
Es ist Dienstagvormittag, 11 Uhr, als die Chefin der liberalen Neos versucht, die Karten im politischen Wien noch mal ganz neu zu mischen. Zwar schleppen sich just zur gleichen Zeit die Spitzen von FPÖ und ÖVP noch mal zu Gesprächen, doch ein Durchbruch wird immer unwahrscheinlicher. Zugleich wächst, gut 130 Tage nach der Wahl, der Druck, endlich eine neue Regierung aufzustellen. In diesem Gemisch scheint plötzlich wieder sehr viel denkbar.
Die Verhandlungen waren ohnehin aus der Not geboren, weil zuvor die Gespräche zwischen ÖVP, SPÖ und Neos geplatzt waren. Nun zeigt sich, wie groß die Gräben zwischen den Rechtspopulisten und den Konservativen sind. Schon vergangene Woche kam es fast zum Bruch, weil sich die Verhandler bei der Verteilung wichtiger Ministerien uneins waren. FPÖ-Chef Herbert Kickl beansprucht neben dem Kanzleramt auch das Innen- und das Finanzressort, die ÖVP stemmt sich dagegen. Der Streit gipfelte darin, dass Kickl und ÖVP-Chef Christian Stocker zu getrennten Gesprächen bei Bundespräsident Alexander van der Bellen anrückten. Erst danach ging es weiter.
Vor allem das Innenressort will die ÖVP nicht in FPÖ-Hand sehen, auch aus Sorge. Kickl selbst hatte das Ministerium anderthalb Jahre inne, in diese Zeit fällt ein dicker Skandal: Im Februar 2018 stürmten Polizisten, angeführt von einem Parteifreund Kickls, den Verfassungsschutz BVT und beschlagnahmten unzählige Daten. Die illegale Aktion führte unter anderem dazu, dass internationalen Partnerdienste ihre Kooperation mit Österreich herunterfuhren. Im Sicherheitsapparat sorgt man sich offenbar vor Wiederholung. Ein geleaktes Papier warnte gerade vor einer „Schwächung der Abwehrfähigkeit des Staates gegen Gefahren aus dem In- und Ausland“, sollte die FPÖ das Innenministerium übernehmen.
Auch inhaltlich hakt es arg. Auf einen Haushalt einigten sich FPÖ und ÖVP schnell, doch in Grundsatzfragen liegen sie weit auseinander. Am Montag legte die ÖVP den Rechtspopulisten dann ein zweiseitiges Grundsatzpapier vor, das unter anderem eine „klare proeuropäische Positionierung“, die Verurteilung des russischen Angriffskriegs und eine Abgrenzung von allen politischen Extremen einfordert. Für die europaskeptischen, Kreml-nahen Rechtspopulisten ist das eine glatte Provokation.
Und nun? Während Kickl, der selbst ernannte „Volkskanzler“ mit Verbindungen ins rechtsextreme Milieu, optimistisch bleibt, kommen aus der ÖVP andere Signale. Ein Verhandler warf der FPÖ via „Kronen Zeitung“ vor, im „Machtrausch“ und „möglicherweise nicht regierungsfit“ zu sein. Dass sie an den Verhandlungen festhalten, begründen die Konservativen mit Verantwortung für das Land. Sie stecken in der Klemme. Käme es zu Neuwahlen, schnitten sie wohl noch schlechter ab.
Die Lage ist verzwickt, aber nicht ausweglos. Im Moment zeigen die anderen Mitteparteien neue Bereitschaft, mit der ÖVP zu reden. SPÖ-Chef Andreas Babler, an dessen Maximal-Forderungen die ersten Gespräche gescheitert waren, sagte im ORF, für seine Partei gebe es in neuen Verhandlungen keine roten Linien mehr. Meindl-Reisinger entwirft sogar konkrete Szenarien. Denkbar aus ihrer Sicht: eine Minderheitsregierung ihrer Neos mit der ÖVP – oder ein Bündnis aus ÖVP und Sozialdemokraten, das die Liberalen unterstützen würden. Dazu müsse die SPÖ aber wieder von links in die Mitte rücken. „Alle müssen über ihren Schatten springen.“
Gestern wurden die Chefs von FPÖ und ÖVP erneut zum Bundespräsidenten geladen. Der ersuchte beide, „rasch und endgültig zu klären, ob die Verhandlungen abgeschlossen werden können“.