Die Nato sortiert sich neu

von Redaktion

Schwierige Lage – an der Front und am Verhandlungstisch: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bei einem Besuch in der Region Charkiw. © dpa/Archiv

München – Die beiden Hauptfiguren sind früh dran: Die Sicherheitskonferenz im Bayerischen Hof beginnt erst am Freitagmittag, doch US-Vizepräsident J.D. Vance wird bereits heute gegen 14 Uhr am Flughafen erwartet. Sieben Stunden später schwebt dann auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ein. Wer die vollen Terminkalender der Konferenz kennt, wo sich Treffen an Treffen reiht, wird stutzig: Offenbar ist in diesem Jahr extra viel Zeit für Gespräche vonnöten. Die USA haben den Regierungswechsel gerade hinter, Deutschland wohl vor sich – und in der Ukraine wollen die USA eine Lösung für den Krieg herbeiführen. Es gibt sehr, sehr viel zu beraten.

■ Die Ausgangslage

An der Front in der Ostukraine kommen die russischen Truppen nach Monaten heftiger Kämpfe und unablässigen Vorrückens derzeit langsamer voran. Die Aufmerksamkeit scheint sich von den Schlachtfeldern weg zu verlagern. Selenskyj sendet Signale: Mit Trump ist er zu einem Abkommen bereit, das den USA Zugang zu seltenen Erden garantiert. Mit Putin möchte er für den Frieden Territorien tauschen. Russland reklamiert fünf ukrainische Regionen für sich – die 2014 annektierte Halbinsel Krim sowie die Regionen Donezk, Cherson, Luhansk und Saporischschja. Die Ukraine hat Territorium in der westrussischen Region Kursk erobert. Natürlich lehnte Moskau Selenskyjs Vorstoß umgehend ab. Aber das gehört natürlich schon mit zum Poker. Die USA geben allerdings klare Signale: Eine Rückkehr zur Ukraine in den Grenzen vor 2014 werde es nicht geben, heißt es.

■ Kommt ein Friedensplan?

Kurz vor dem dritten Jahrestag des russischen Angriffs telefoniert Trump mit dem Kremlchef Wladimir Putin. Bei dem „langen und produktiven“ Gespräch habe er sofortige Verhandlungen vereinbart, teilt der US-Präsident gestern Abend mit. Auch ein erstes Treffen der beiden soll stattfinden – und zwar in Saudi-Arabien. Es kommt also Bewegung in die Verhandlungen. Vance ist bereits in Europa, auch US-Verteidigungsminister Pete Hegseth traf gestern ein. Es wäre allerdings sehr untypisch, wenn der große Friedensplan nicht von Trump persönlich vorgestellt werden würde. Gerne macht er so etwas bei „Fox News“. Die Sicherheitskonferenz dürfte der diplomatischen Vor- oder Nacharbeit dienen.

Doch die Zeichen sind nicht eindeutig. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) ist in Sachen Frieden betont skeptisch: „Ein solcher Silberstreifen ist am Himmel nicht zu erkennen.“ Andere rechnen mit mehr Tempo, rätseln aber über konkrete Inhalte. Eine Aufnahme der Ukraine in die Nato rückt jedenfalls in weite Ferne. Die USA glauben nicht, „dass eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine ein realistisches Ergebnis einer Verhandlungslösung ist“, sagt Hegseth. Wahrscheinlich ist, dass die EU aktiv werden muss – durch Sicherheitstruppen für die Ukraine oder gar einem beschleunigten Beitrittsverfahren.

■ Die Nato

Klar ist: Unter den Nato-Staaten wächst die Sorge, selbst zum Ziel russischer Aggression zu werden – auch das wird in München ein wichtiges Thema. Generalsekretär Mark Rutte legte gestern neue Zahlen vor: Im vergangenen Jahr hätten die Nato-Länder in Europa sowie Kanada (also ohne die USA) 485 Milliarden US-Dollar in Verteidigung investiert, das seien fast 20 Prozent mehr als 2023. Zwei Drittel der Mitgliedsländer hielten inzwischen die Zusage ein, mindestens zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts in Verteidigung zu investieren.

Aber trotzdem sieht Rutte Anlass zur Sorge: „Russland gibt derzeit 40 Prozent des Staatshaushalts für Verteidigung aus, rund zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts“, warnte der Generalsekretär des Verteidigungsbündnisses. Würde Wladimir Putin heute ein Nato-Land überfallen, würde das für ihn „verheerend enden“, sagt Rutte. Aber die Nato müsse jetzt sicherstellen, dass dieses Abschreckungsszenarien in vier, fünf Jahren noch genauso gelte. Auch die Gefahr durch China wachse.

US-Verteidigungsminister Pete Hegseth erklärte gestern vor seinem ersten Brüssel-Besuch gleich mal, wie er sich das vorstelle. Die Nato müsse „eine stärkere, tödlichere Kraft sein – kein diplomatischer Club“.

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