Höchste Zeit für eine Aufholjagd: Kanzlerkandidat Robert Habeck versucht, mit Klimapolitik und anderen Zukunftsthemen die grüne Basis stärker zu mobilisieren. © Knorr/dpa
München – Robert Habeck hat am Sonntag nicht zugesehen. Vom TV-Duell zwischen Olaf Scholz und Friedrich Merz, an dem auch der Kanzlerkandidat der Grünen gerne teilgenommen hätte, sah er sich später nur Ausschnitte an. Sein Eindruck mag deshalb selektiv gewesen sein, aber eines ist Habeck gleich aufgefallen. Vom Klima, für ihn „DAS Zukunftsthema“, war keine Rede. Der ökobewusste Bürger in ihm ärgerte sich darüber, der Politiker Habeck hingegen denkt strategisch. Die Fernsehdebatte empfindet er deshalb als „auf eine negative Art heilsam“.
Der Wirtschaftsminister steht in der „Kulturbrauerei“, einer Veranstaltungsstätte mitten in Berlin, und beklagt, im Wahlkampf gehe es um vieles, nur nicht um die Zukunft. Migration, Verteidigung, die Wirtschaft. Der Klimawandel dagegen tauche zum Beispiel kaum auf. Habeck spricht von „Wurstigkeit“ und „Lapidarität“, mit der die Konkurrenz die existenzielle Herausforderung ausblende.
Grund der Einladung ist eine „Zukunftsagenda“, die Habeck vorstellen will. Es geht um Bürokratieabbau (sein Ziel sind 25 Prozent in vier Jahren), eine Bildungsoffensive mit Mindeststandards sowie einer umfassenden Sanierung und Digitalisierung der Schulen, um die Förderung von innovativen Technologien. Habeck versucht, ein Vakuum zu füllen, das Union und SPD erzeugt haben, so sieht er das. Einerseits, um sich im Gegenschnitt zu Scholz und Merz als Mann von morgen zu präsentieren. Andererseits, um das Kernthema der Ökopartei in den Mittelpunkt zu stellen, die eigene Basis zu mobilisieren und noch ein paar Wähler mehr.
Die Versuche, außerhalb des grünen Milieus Boden gutzumachen, sind in den vergangenen Monaten wenig erfolgreich gewesen. In den Umfragen stagniert die Partei seit Monaten bei maximal 14, 15 Prozent. Habeck verweist darauf, dass dieser Wert ziemlich genau dem Ergebnis der Bundestagswahl 2021 (14,7) entspricht, womit es den Grünen deutlich besser ergangen sei als den anderen Ampel-Parteien. Aber es ist viel Luft nach oben.
Was er so nicht sagt: Auch die Grünen sind zuletzt getrieben worden von der Dynamik dieses aufgeheizten Wahlkampfes. Vergangene Woche erst, als das Land über Migration debattierte, stellte Habeck einen Zehn-Punkte-Plan vor, der ein Signal sein sollte, dass auch die traditionell einwanderungsfreundliche Partei die Sicherheit des Landes über die Offenheit der Gesellschaft stellt. Für Aufregung sorgte dann aber vor allem, dass eine Formulierung zur Begrenzung irregulärer Migration nach kurzer Zeit von der Homepage verschwand.
Kritik daran bezeichnet Habeck nun als „Wortklauberei“. Doch das Beispiel zeigt, wie schwer sich die Partei gerade tut, mit ihren Themen durchzudringen. Die SPD wiederum, in den Umfragen aktuell knapp vor den Grünen, bewegt sich bei der Migration auf die Union zu. In diesem Punkt sei man „gar nicht so weit auseinander“ flötete Innenministerin Nancy Faeser gestern in einem Podcast des Magazins „Politico“. Ziel sei die Eindämmung der irregulären Migration: „Da sind wir völlig konform mit der CDU.“ Auch gestern betont der Kanzlerkandidat Habeck seine „Underdog-Position“, aber zumindest die ein, zwei Prozentpunkte Rückstand auf die SPD aufzuholen, traut er den Grünen zu. Die Klimapolitik soll dazu den nötigen Impuls geben. Intern weiß man, dass das nicht unbedingt ein Gewinnerthema ist, weil es den Bürgern eine Menge abverlangt. Der zuständige Minister hat das beim Gebäudeenergiegesetz zu spüren bekommen („Habecks Heiz-Hammer“). Aber er hofft, dass die Sprachlosigkeit der anderen den Grünen helfen kann.
Nach dem TV-Duell, glaubt Habeck, gebe es „einen anderen Zungenschlag“ im Land: „Da fehlt ja etwas!“