Wer hat wen in der Hand? Putin (l.) und Trump 2019 in Japan. Bald wollen sich beide in Saudi-Arabien treffen. © Susan Walsh/dpa
München – Boris Pistorius ist hart gesotten, aber selbst ihm schien es für einen Moment die Sprache verschlagen zu haben. Es sei „bedauerlich“, dass die US-Regierung dem Kreml „öffentlich Zugeständnisse gemacht“ habe, sagte der Verteidigungsminister gestern in Brüssel. Über all das Heikle – Gebietsverluste der Ukraine, Nato-Mitgliedschaft – hätte man seiner Ansicht nach besser erst am Verhandlungstisch gesprochen. Aber es lief anders, und das Unverständnis ist groß, nicht nur bei ihm.
Kurz vor Beginn der Münchner Sicherheitskonferenz haben die USA ihre Verbündeten in Europa mit der radikalen Änderung ihres Ukraine-Kurses geschockt. Ohne vorherige Absprache kündigte US-Präsident Donald Trump nach einem Telefonat mit Kreml-Chef Wladimir Putin den „unverzüglichen“ Beginn von Verhandlungen an. Sein Verteidigungsminister Pete Hegseth gab parallel Verhandlungsmasse aus der Hand. Folgt man ihm, dann kann sich die Ukraine eine Nato-Mitgliedschaft genauso abschminken wie die Wiederherstellung ihres gesamten Staatsgebiets.
Trump selbst hatte die Europäer vorher nicht eingeweiht, und auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erfuhr erst im Nachgang von der Vereinbarung mit Putin. Kiew und die Hauptstädte Europas treibt nun die Sorge um, dass sie auch bei den Verhandlungen nur Nebenrollen spielen, während Washington und Moskau die Grenzen neu ziehen. Das wäre ganz im Sinne des Kreml-Chefs, der sich in einer starken Position sieht. Ihm schwebt offensichtlich vor, nicht nur über die Ukraine zu sprechen, sondern auch über „Sicherheit in Europa“ und russischen Bedenken.
Die neue Ausgangslage strahlt natürlich auch auf die Sicherheitskonferenz aus. Deren Chef Christoph Heusgen hatte Anfang der Woche noch gesagt, er hoffe, dass sich in München erste „Konturen“ eines Friedensplans abzeichneten. Man darf das getrost für überholt halten. Unter den hochrangigen Teilnehmern müssen sich vor allem die Europäer neu sortieren. Auch Selenskyj wird nun wohl mit einem anderen Gefühl anreisen. Er soll am Freitag US-Vizepräsident J.D. Vance und Außenminister Marco Rubio treffen. Letzterer gehört zu den vier US-Amerikanern, die die Verhandlungen mit dem Kreml leiten sollen.
Schon gestern versuchte Selenskyj, die USA wieder in die Spur zu bringen. Vor Gesprächen mit dem Kreml brauche es eine gemeinsame Position mit Washington, sagte er. „Die ukrainisch-amerikanischen Treffen haben für uns Priorität“, erklärte er und fügte an: „Und erst nach solchen Treffen, nachdem ein Plan ausgearbeitet wurde, um Putin zu stoppen, halte ich es für fair, mit den Russen zu sprechen.“
Die Frage aber stellt sich vor der Siko besonders: Ist Fairness für jemanden, der die europäischen Partner derart überrumpelt wie die Trump-Regierung, überhaupt noch ein Kriterium? Selbst Nato-Generalsekretär Mark Rutte, dessen Job es ist, Gräben zwischen den Alliierten rhetorisch zuzuschütten, reagierte vorsichtig auf die neue Situation. „Wir werden sehen, wie sich das jetzt entwickelt“, sagte er. Entscheidend sei, dass die Ukraine eng in alles eingebunden werde, was über sie entschieden werde. Der Kreml ließ gönnerhaft wissen, Kiew werde „auf die eine oder andere Weise“ beteiligt.
In München soll es eigentlich auch um die andern Krisenherde der Welt gehen: die wackelige Waffenruhe in Gaza und die hochproblematische Umsiedlungsidee der Palästinenser (ebenfalls aus dem Hause Trump); aber auch die Kriege im Kongo und im Sudan. Der Fokus dürfte sich jetzt aber verschieben. Unter den hochrangigen Gästen sind zahlreiche Staats- und Regierungschefs aus Europa, auch die EU-Spitze ist prominent vertreten. Hinter den Kulissen dürfte es auch um eine gemeinsame Position zum US-Vorstoß gehen.
Man stehe vor „historischen Entwicklungen“, sagte Manfred Weber, Chef der Europäischen Volkspartei, unserer Zeitung. „Europa steht in einer Welt von Stürmen alleine da. Washington, Moskau und Peking stehen für eine neue Weltordnung und wir müssen unseren Platz finden.“ Europa müsse jetzt erwachsen werden.
MIT AFP/DPA