Schock am Ort des Grauens: Münchens OB Dieter Reiter (SPD) und Ministerpräsident Markus Söder geben ein Statement am Tatort ab. © Yannick Thedens
München – Bevor Markus Söder das Wort ergreift, atmet er tief durch. Er schweigt drei Sekunden, setzt an und sagt: „Es ist einfach furchtbar.“ Es sei ein „Schlag ins Gesicht“. Zuvor hatte der Polizei-Einsatzleiter kurz umrissen, was am Donnerstagvormittag in der Münchner Innenstadt passierte. Ein Auto fuhr in das Ende eines Verdi-Demonstrationszug, verletzte mindestens 30 Menschen, einige davon schwer, sehr schwer (siehe Seite 3).
Zwei Stunden später steht der Ministerpräsident an jenem Ort, an dem nur noch regendurchtränkte Kleidungsstücke und Fahnen am Boden liegen. Und dann spricht er das aus, was den ganzen Vormittag lang als quälende Frage über München, über Deutschland hing: War es ein Unfall oder Absicht? „Es handelt sich wohl mutmaßlich um einen Anschlag“, sagt Söder.
Damit ist klar: Zehn Tage vor der nächsten Bundestagswahl ändert sich noch einmal alles. Denn nachdem sich alle Politiker bestürzt zeigen, um die Verletzten bangen und den Einsatzkräften danken, geht es auch diesmal um die politische Dimension der Horror-Tat. Denn bei dem Täter soll es sich um Farhad N., einen 24-jährigen Afghanen, handeln. Er ist ein abgelehnter Asylbewerber, wenn auch offenbar – anders als es am Donnerstag zunächst geheißen hatte – weder ausreisepflichtig noch strafrechtlich vorbelastet.
„Unsere Entschlossenheit wächst“, sagt CSU-Chef Söder. Gemeint ist eine schärfere Migrationspolitik, wie sie es die Union mit ihrem Fünf-Punkte-Plan forciert. Grenzkontrollen, Zurückweisungen und mehr Abschiebungen – insbesondere von Straftätern und Gefährdern fordern CDU/CSU bereits seit der Messertat von Aschaffenburg. „Wir werden Recht und Ordnung konsequent durchsetzen“, verspricht Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz. Und Söder erklärt noch am Tatort: „Wir müssen etwas ändern, denn das war nicht der erste Anschlag.“
Die Liste des Horrors ist lang: Unvergessen bleibt der Terror-Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz 2016. Der Islamist Anis Amri tötete 11 Menschen, als er mit einem Lkw in die Menschenmenge fuhr. Mit einem Transporter tötete auch Taleb A. auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt vergangenes Jahr sechs Menschen. Hinzukommen Messerattentate wie vergangenes Jahr in Solingen mit drei Toten, in Mannheim mit einem Toten. Im Januar erstach ein psychisch kranker Afghane in Aschaffenburg ein Kindergartenkind und einen Passanten. Nicht jedes Mal war es islamistischer Terror, doch jedes Mal hatten die Täter einen Migrationshintergrund, was die politische Debatte anheizte.
Insgesamt vier islamistische Terroranschläge zählt der Verfassungsschutz zwischen 2021 und 2024. Seit 2018 wurden 18 islamistische Taten verhindert – zahlreiche Islamisten sitzen in Untersuchungshaft.
Jetzt, bei der Amok-Fahrt in München, nahm der Täter ausgerechnet jene Menschen ins Visier, die traditionell der SPD nahestehen. Und Sozialdemokraten fahren eigentlich einen liberalen Migrationskurs. Doch das klingt auf einmal anders. „Die Antwort kann nur sein: Der Rechtsstaat muss maximale Härte zeigen“, sagt Innenministerin Nancy Faeser. „Wir haben die Gesetze für die Ausweisung von Gewalttätern und für mehr Abschiebungen massiv verschärft, jetzt müssen sie mit aller Konsequenz durchgesetzt werden“. Noch am Abend reiste sie nach München.
Und Kanzler Olaf Scholz (SPD) will Farhad N. abschieben lassen. „Er muss bestraft werden, und er muss das Land verlassen.“ Abschiebeflüge für schwer kriminelle Straftäter nach Afghanistan plant die Regierung bereits. Wenn es die Gerichte entscheiden, werde es so „auch für diesen Täter sein“.