„Ein anderes Weltbild“: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und US-Vizepräsident J.D. Vance bei der Siko. © Guido Bergmann/dpa
München – Die Ratlosigkeit steht ihnen breit ins Gesicht geschrieben. J.D. Vance hat den Saal auf kürzestem Weg und unter Anstandsapplaus verlassen, da fragen sich die Gäste im Bayerischen Hof noch, was sie gerade erlebt haben. Man rechnete mit vielem, mit Trump‘scher Härte und schmerzhaften Ansagen – aber nicht damit. Über Sicherheit, Verteidigung verliert der US-Vizepräsident kaum ein Wort. Stattdessen hält er den Europäern zum Start der Sicherheitskonferenz eine wütende Predigt.
Die größte Bedrohung, sagt Vance, komme nicht von außen, aus China oder Russland, sondern aus dem Inneren Europas. Die Meinungsfreiheit sei auf dem Rückzug. Dann zählt er Beispiele auf, die das aus seiner Sicht belegen: Mehrfach erwähnt er die Wahl in Rumänien, die wegen mutmaßlicher russischer Einmischung von einem Gericht annulliert wurde. Er meint: „Wenn Ihre Demokratie mit ein paar hunderttausend Dollar digitaler Werbung aus einem anderen Land zerstört werden kann, war sie eh nicht sehr stark.“
Vance zeichnet ein düsteres Bild von Europa, eines, in dem die Politiker Angst vor den Wählern haben und gegen deren Willen handeln. „Es gibt keine Sicherheit, wenn man die Stimmen der eigenen Bevölkerung fürchtet“, sagt er. US-Präsident Donald Trump ist aus seiner Sicht aus ganz anderem Holz geschnitzt. „Es ist ein neuer Sheriff in der Stadt.“
Es ist eine Rede, wie sie auch der Tech-Milliardär und AfD-Fan Elon Musk hätte halten können. Sie kommt direkt aus dem Trump‘schen Kosmos. Und vielleicht ist die eisige Stille im Saal auch der Erkenntnis geschuldet, dass dieser Kosmos kaum mehr Schnittmengen hat mit dem liberalen Europa. Vance‘ Wutrede zeigt: Die neuen USA und das alte Europa stehen einander einigermaßen verständnislos gegenüber.
Ähnliches diagnostiziert zuvor auch der Bundespräsident, und zwar ungewohnt scharf. Frank-Walter Steinmeier wirft der neuen US-Regierung Rücksichtslosigkeit in der Außenpolitik vor. Sie habe „ein anderes Weltbild als wir. Eines, das keine Rücksicht nimmt auf etablierte Regeln, auf gewachsene Partnerschaft und Vertrauen.“ Umso wichtiger sei es in den kommenden Jahren, die Idee der internationalen Gemeinschaft zu erhalten. Auch innenpolitisch kritisiert er Trump deutlich: „Die Demokratie ist keine Spielwiese für Disruption.“ Trotzdem appelliert er an die USA zusammenzuarbeiten. Die Notwendigkeit, dass Europa selbstständig wird, betont er auch. Die Nato müsse auf zwei starken Beinen stehen. „Wir haben den Weckruf gehört.“
Darum sollte es an diesem Freitag ja eigentlich gehen: um die drängenden Fragen von Sicherheit in Europa und welche Rolle die USA dabei noch spielen wollen. Am Vormittag hieß es noch, Vance werde den Abzug von US-Truppen aus Europa ankündigen. Aber zu alldem sagt er am Freitagnachmittag nur dies: Es sei ein „wichtiger Bestandteil eines gemeinsamen Bündnisses, dass die Europäer sich stärker engagieren“. Amerika müsse sich „auf die Regionen der Welt konzentrieren, die in großer Gefahr sind“.
Lieber doziert Vance über europäische und deutsche Innenpolitik. Die „Massenmigration“ sei das größte Problem für Europa, sie müsse enden. Auch den Terroranschlag am Vortag in München erwähnt er in diesem Zusammenhang. „Wie oft müssen wir diese entsetzlichen Rückschläge noch erleiden, bevor wir unseren Kurs ändern?“ Kein Wähler in Europa habe dafür gestimmt.
Und dann ist es wieder, als sitze ihm Elon Musk auf der Schulter. Offensiv beklagt Vance das Fehlen populistischer Parteien auf der Siko und kritisiert die Brandmauer zur AfD. Deren Chefin Alice Weidel trifft er nach seiner Rede. Musk hatte in den vergangenen Wochen ziemlich ungehemmt Werbung für die Partei gemacht. Trumps Amerika, so scheint es, sucht sich neue Partner in Europa.
Die alten fragen sich derweil nicht zu Unrecht: Sind wir das noch, Partner? Einer, der bei Vance‘ Rede im Publikum sitzt, macht seinem Ärger hinterher Luft. Vance habe Teile Europas nonchalant mit autoritären Regimen verglichen, sagt Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) fassungslos. „Das ist nicht akzeptabel und das ist nicht das Europa und nicht die Demokratie, in der ich lebe und in der ich gerade Wahlkampf mache.“ Der Riss geht tief.