Baerbock hat noch Hoffnung für die Ukraine

von Redaktion

Rund 200 Gäste hörten am Samstagabend der Außenministerin im Pressehaus in München gebannt zu. © Achim Frank Schmidt

Offene Worte: Mehr als eine Stunde lang stand Annalena Baerbock Rede und Antwort. © Achim Frank Schmidt

München – Annalena Baerbock erscheint auf die Minute pünktlich, doch fast scheint es, als plage sie ein schlechtes Gewissen. Hoffentlich habe das Publikum nicht so lange warten müssen, sagt die Außenministerin den Gästen des Wahlforums zur Begrüßung. Sie selbst habe den ganzen Tag auf der Sicherheitskonferenz verbracht, „in einem anderen fensterlosen Gebäude“, sie weiß, dass die Zeit lang werden kann. Der erste Eindruck: Baerbock kümmert sich.

Der zweite: Sie neigt nicht zur Panikmache. Viele Siko-Teilnehmer mögen nach der Rede von JD Vance unter Schock stehen, doch die Grünen-Politikerin überrascht mit dem Bekenntnis, bei ihr überwiege ein anderes Gefühl: Zuversicht. Baerbock (44) begründet das damit, dass die Zusammenarbeit der vergangenen Jahre eine stabile Basis sei, um sich für Frieden einzusetzen. Allemal stabiler „als Tweets und Social-Media-Headlines“.

Von Donald Trumps Plan, in Saudi-Arabien mit Wladimir Putin über die Zukunft der Ukraine zu verhandeln, hat sie bei einem Außenministertreffen in Paris erfahren: „Aus der Zeitung.“ Auf der folgenden Syrien-Konferenz saß sie neben ihrem saudischen Amtskollegen, „der berichtete mir, dass er es auch in der Zeitung gelesen hat“. So viel zur angeblich so konkreten Planung der Amerikaner. Auch aus den Gesprächen in München mit US-Repräsentanten hat sie herausgehört, dass sich viele Ansichten zur Ukraine durchaus decken. Baerbock zieht aus all dem den Schluss, dass nichts so heiß gegessen wird, wie es im Weißen Haus gekocht wurde.

Nach diesem Muster bricht sie die Themen herunter. Nicht immer so humorvoll wie bei Markus Söder, dem berüchtigten Grünenfresser, den sie dafür bewundert, „wie viel der essen kann“. Den Gästen präsentiert sich vor allem eine Politikerin, die komplexe Zusammenhänge anschaulich erklärt. Regelmäßig besucht Baerbock Schulklassen in Brandenburg. Wenn dort die Frage aufkomme, ob Waffenlieferungen den Krieg nicht verlängern, lasse sie die Schüler ihr Handy herausholen: „Jetzt googeln wir alle: Brandenburg, dann kommt Polen und dann schon die Ukraine.“ Stelle man die Unterstützung ein, sei bald das eigene Land in Gefahr.

Baerbock ist viel herumgekommen in dreieinviertel Jahren als Ministerin. Allein zehnmal war sie in der Ukraine, in Odessa kam ihr eine russische Drohne bedrohlich nahe, aber auch in Afrika hatte sie eindrückliche Erlebnisse. Dem Leser Robin von Oertzen, dem in der aktuellen Grünen-Politik der Klimaaspekt zu kurz kommt, berichtet sie von einer Reise nach Niger. Die Temperatur lag bei 52 Grad. „Da wurde mir eine Fläche gezeigt und gesagt, in den 60er-Jahren waren hier Baumwollfelder. Da waren jetzt nur noch Staub und Geröll.“ Auch auf der Sicherheitskonferenz sei das Thema präsent gewesen, nicht zuletzt wegen der damit verbundenen Migrationsbewegungen.

Das Publikum ist Baerbock wohlgesonnen, aber unkritisch ist es nicht. Heiner Wensing aus Petting erinnert an die rot-grüne Koalition, die mit dem Einsatz für die erste Nord-Stream-Pipeline einen Beitrag zur Energieabhängigkeit von Russland geleistet habe. Baerbock weist darauf hin, dass die Leitung andere, bereits bestehende ersetzt habe. Später, im Lichte der Krim-Annexion, sei das anders gewesen. Bei einem Ortstermin sei offen darüber gesprochen worden, mit einer zweiten Pipeline Sanktionen umgehen und eine Alternative zu Gasleitungen durch die Ukraine anlegen zu wollen. Vor dem Gast aus Deutschland habe man die Motive kaum verschleiert: „Die haben gedacht, ich sei die Praktikantin.“

Manchmal, folgert Baerbock daraus, sei es von Vorteil, als Frau unterschätzt zu werden. Aber selten. Das ist ein großes Thema für sie, und dass der Einsatz für eine feministische Außenpolitik ihr neben Anerkennung auch Spott eingetragen hat, geht ihr erkennbar nahe. Dabei hat die Agenda viele Facetten. Deutlich wird, wie anders sie als Frau behandelt wird, wie sehr sich aber auch ihre eigene Herangehensweise zuweilen unterscheidet.

Als Florian Krötz aus München sie nach ihren Visionen für die Zukunft fragt, verweist sie auf ihre zwei Kinder: „Deutschland muss ein familienfreundlicheres Land werden.“ Es hapert an der Kinderbetreuung, bei der Gleichberechtigung ist noch immer viel Luft nach oben, und die Gehaltslücke zwischen Männern und Frauen findet sie „einfach beschämend“.

Im Wahlkampf 2021, erinnert sich Baerbock, sei sie als Spitzenkandidatin ständig gefragt worden, wie sich ihr Job mit ihrer Mutterrolle verbinden lasse. Auf europäischer Ebene könne das niemand verstehen, auch Frauen schüttelten nur den Kopf. „Und das ist ja nur ein kleines Beispiel. Die Geburtenrate ist niedrig. Und wie will man Fachkräfte gewinnen, dass beide Eltern arbeiten können, wenn wir keine Kitaplätze haben?“

Als die Außenministerin vor einigen Wochen in Syrien die neuen Machthaber traf, sorgte vor allem der Umstand für Aufsehen, dass man ihr nicht die Hand gab. Baerbock empfindet das als halb so wild. Im Gegenteil, die Debatte habe ihr sogar genützt: „Mein Lieblingsthema.“ Bei einem Termin mit arabischen Amtskollegen in Riad kurz darauf umarmte sie einer der Anwesenden. „Das hat er vorher noch nie getan.“ Der Nächste gab ihr demonstrativ die Hand. „Ach so“, entfuhr es Baerbock. Auch dem Syrer dämmerte dann, wie man sich in diplomatischen Kreisen benimmt. In München war die Begrüßung völlig korrekt.

Solche Anekdoten hat Baerbock viele im Angebot, aber nicht jede ist so heiter. Die schwierigste Erfahrung ihrer Amtszeit machte sie in Nigeria, als sie eine junge Frau traf, die kurz zuvor nach acht Jahren Gefangenschaft der Terrormiliz Boko Haram entkommen war. In so einem Moment gebe es „kein Script“. Intuitiv schickte sie alle Leute raus. Die Frau bat sie dann darum, alles dafür zu tun, dass nicht nur ihre Kinder, die sie in Gefangenschaft bekommen hatte, sondern auch sie selbst wieder zur Schule gehen könne. Baerbock lernte daraus: „Wenn jemand die Kraft hat, so etwas zu überstehen, wer bin ich zu sagen, es ist gerade etwas schwierig mit den Amerikanern.“

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