Kanzlerübungen bei der Siko

von Redaktion

Man kennt sich: Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz mit dem früheren Nato-Generalsekretär und künftigen Siko-Chef Jens Stoltenberg. © Boris Roessler/dpa

München – So ein Versprecher ist wirklich keine Schande, in diesem Fall ist er sogar sehr aufschlussreich. Die drei anderen Gäste auf dem Podium haben schon gesprochen, jetzt ist Friedrich Merz dran. „Herr Bundeskanzler“, sagt Moderatorin Katarzyna Pisarska und korrigiert sich gleich. Merz lacht, bedankt sich für das Kompliment. Aber 60 Millionen Wähler hätten da auch noch ein Wort mitzureden.

Stimmt schon. Andererseits weiß man auch bei der Münchner Sicherheitskonferenz ganz gut, was die Umfragen eine Woche vor der Bundestagswahl sagen. Merz ist der Favorit, Olaf Scholz vielleicht der Letzte, der in trüber Lage noch eine Chance für sich wittert. In München zeigt sich jedenfalls schon recht deutlich, mit wem die Welt in Zukunft rechnet.

Schon Merz‘ Terminkalender liest sich wie der eines Regierungschefs. Er trifft den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, Chinas Außenminister Wang Yi und Nato-Generalsekretär Mark Rutte, außerdem die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas. Das Gespräch mit US-Vizepräsident JD Vance findet schon am ersten Siko-Tag statt, kurz vor dessen irritierender Rumpel-Rede. Selbst für AfD-Chefin Alice Weidel findet Vance Zeit, für Scholz nicht. Das mag an der ideologischen Nähe liegen, ist aber trotzdem ein Signal.

Als der Kanzler am Samstagmorgen seinen Siko-Auftritt hat, ist Vance schon wieder abgereist. Es ist der erste Termin des Tages, der Saal ist nur zum Teil gefüllt. Man kann das wohlmeinend auf den frühen Zeitpunkt schieben. Andererseits ist 9.30 Uhr kein völlig unchristlicher Termin. Scholz spricht über Vance, die Ukraine und Europa – er sagt das Nötige, wirkt kämpferisch. Später auf der Bühne spricht ihn die Moderatorin auf den großen Rückstand in den Umfragen an. Das sei beim letzten Mal auch schon so gewesen, erwidert Scholz. Seine Aufholjagd müsste diesmal aber epischen Ausmaßes sein.

Als Merz dann zwei Stunden später auf der Bühne sitzt, neben sich die Regierungschefs von Schweden und Dänemark, außerdem der tschechische Präsident, gehen die Fragen in eine ganz andere Richtung. Im Publikum will jemand wissen, ob er bereit sei, Europa in diesen schweren Zeiten anzuführen, denn Führung sei nötig. Merz bejaht das selbstverständlich, umso lieber, als in der Frage auch ein Vorwurf an Scholz steckt. Der, so lässt sich das verstehen, hat es in seiner Kanzlerschaft versäumt zu führen.

Die Runde dreht sich insgesamt um die Frage, wie es mit der Ukraine-Unterstützung weitergeht. Als er drankommt, nutzt Merz die Gelegenheit aber zuallererst für eine Antwort auf Vance. Deutschland respektiere den Ausgang der Wahlen in den USA, sagt er, „und wir erwarten, dass die USA hier dasselbe tun“. Der US-Vize hatte den Deutschen am Tag zuvor empfohlen, die Brandmauer gegenüber der AfD aufzugeben, und war damit dem Milliardär und Trump-Vertrauten Elon Musk nachgeeilt. Der hatte in der Vergangenheit schon offen für die AfD geworben.

Wie zuvor schon Scholz verbittet sich Merz die Einmischung – und geht noch weiter auf Vance ein. Vor allem auf dessen Vorwurf, in Europa werde die Meinungsfreiheit beschnitten. Der CDU-Chef wird sehr deutlich, zieht den Unterschied zwischen Meinung und Fake News. Im Übrigen, sagt er dann, würde Deutschland „nie den Journalisten einer Nachrichtenagentur ausschließen“. In den USA ist das gerade geschehen: Die Agentur AP ist im Weißen Haus nicht mehr zugelassen, weil sie sich weigert, den Golf von Mexiko in Trumps Sinne in Golf von Amerika umzubenennen.

Merz, das merkt man, gefällt sich auf der großen Bühne. Und die große Bühne rechnet mit ihm. Auch Wolodymyr Selenskyj wird zu ihm befragt. „Wir kennen uns gut. Er ist ein sehr guter Typ“, sagt der Ukrainer kurz, vergisst aber nicht zu erwähnen, dass er in München auch Scholz getroffen habe. Welches Gespräch denn besser war, will jemand wissen. Der aber bleibt diplomatisch. „Ich werde Ihnen das am Montag nach der Wahl sagen.“

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