Selfie mit Christian Lindner: Im Pressehaus erklärt der FDP-Chef, warum die Liberalen auch in Bayern wichtig sind. © Achim Schmidt
München – Christian Lindner weiß, wie es um seine Partei steht. Doch aus der Ruhe bringt ihn das knapp eine Woche vor der Bundestagswahl nicht. „Bei uns ist das so“, erklärt der FDP-Chef. „Sie haben so eine Ketchupflasche und da kommt nichts raus.“ Lindner klopft von oben auf sein Mikrophon. Viermal. Als wäre es die Ketchupflasche. Die jüngste Umfrage des Instituts Allensbach, in der es die FDP erstmals wieder über die fünf Prozent schafft, „das war jetzt der erste Klecks“. Symbolisch trommelt er weiter auf dem Mikrophon herum. „Und dann kann der Teller irgendwann ganz voll werden“, verspricht er. Für den Spitzenkandidaten braucht es also einfach nur genug Geduld, genug Kraft, bis es bei der FDP wieder läuft.
Und um die vielleicht noch unschlüssigen Wähler auf ein FDP-Ketchup-Bad einzustimmen, ist Lindner (46) extra am Samstagnachmittag zum Wahlforum unserer Zeitungsgruppe gekommen. Eine Stunde lang stellte er sich im Pressehaus in München den Fragen von Lesern und Chefredaktion.
Dabei ist Bayern kein einfaches Pflaster für die Liberalen. Aus dem Landtag sind sie bereits 2023 geflogen. Traditionell wählt man hier eher schwarz als gelb. Doch davon will sich Lindner nicht einschüchtern lassen. Wegen des besonderen Wirtschaftsstandorts Bayern sei hier „der Hebeleffekt der FDP in der Regierung besonders groß“, sagt Lindner. Seine Pläne: weniger Bürokratie, weniger Unternehmenssteuern, weniger Lohn- und Einkommenssteuer – aber auch weniger Erbschaftssteuer. Bei Letzterem etwa müssten die Freibeträge „deutlich“ erhöht werden, da sie nicht mehr zeitgemäß seien.
Doch noch stagniert die FDP bei den meisten Umfragen in der Todeszone bei vier Prozent. Was ist, wenn sie aus dem Bundestag fliegt? Ist die Partei dann „stark genug aufgestellt“, um „vier außerparlamentarische Jahre durchzustehen?“, will der Leser Alexander Rost wissen. Für diesen „unwahrscheinlichen Fall“ müsse er sich „nicht Sorgen um die FDP machen, sondern Sorgen ums Land“, sagt Lindner. Denn damit „ändert sich der Charakter der Demokratie“.
Als Beispiel nimmt der einstige Finanzminister die Parteipositionen während der Corona-Pandemie. „Es gab nur eine Partei – und das war die FDP“, die gesagt habe, dass staatliche Maßnahmen auch in der Pandemie verhältnismäßig sein müssen.
Ein Thema, das auch an diesem Nachmittag drängt, ist die Migration. Barbara Schöne fragt, wie die FDP Asylbewerber in die Arbeit bringen will, „damit sie auch ihren Lebensunterhalt verdienen, so wie ich mit 83 Jahren“. Es müsse die Arbeitsmarktintegration verbessert werden, sagt Lindner. Und: „Wir müssen auch unser Bürgergeld reformieren.“ Im Sinne der FDP heißt das: angemessener Regelsatz, Kosten der Unterkunft pauschalieren und Arrangements aus Bürgergeld und Schwarzmarkt unterbinden. Lindner stellt aber klar: „Es kann nicht jeder in Deutschland bleiben.“ Deswegen sei er für Rückführungsabkommen mit Afghanistan, bald auch Syrien.
Schon zu Beginn des Dialogs spricht sich Lindner für „qualifizierte Zuwanderung“ aus. In einer alternden Gesellschaft sei, „Abschottung, wie die AfD es will, vielleicht auch Teile der Union, ist nicht im Interesse unseres Landes.“ Es müsse aber die Kontrolle beansprucht werden, darüber „wer kommt, wer bleibt, wer muss gehen“. Das Publikum applaudiert.
Es ist nicht nur das große Ganze, das unsere Leserschaft vor der Wahl umtreibt. Es sind auch die ganz persönlichen, nicht weniger wichtigen Themen. So will Petra Heimbach wissen, was die FDP „bei der Altersarmut, die immer größer wird“ vorhat. „Es kann nicht sein, dass so viele Frauen im Alter arm sind und zur Tafel gehen müssen, weil die Rente nicht reicht.“
Für Lindner liegt das Problem darin, dass viele Frauen „nicht in der Weise berufstätig sein konnten, wie sie wollten“. Damals wie heute. Damit Frauen künftig nicht mehr ungewollt in Teilzeit arbeiten, „müssen wir in die Kinderbetreuung investieren“. Außerdem müsse die finanzielle Bildung gestärkt werden, dass sich Frauen etwas Eigenes zurücklegen können, eine eigene Altersvorsorge aufbauen können.
Und als dritte Stellschraube sieht Lindner, dass sich die Berufswahl zwischen den Geschlechtern annähert. Denn vor allem in der Vergangenheit gab es „typische Frauenberufe“ und das waren „typischerweise solche, die geringer bezahlt waren“ als etwa bei Männern. Man müsse „sehr daran arbeiten“, sagt Lindner, dass man „jungen Mädchen sagt: Du musst nicht nur im sozialen Bereich denken, vielleicht ist für dich auch der technische Beruf interessant“.
Christian Lindner wird selbst im März zum ersten Mal Vater. Und bei diesem Thema zeigt sich der Politiker nahbar, plaudert aus dem Nähkästchen. Zwar bleibt das Geschlecht noch geheim, aber was die Kinderbetreuung betrifft, da haben der FDP-Chef und seine Frau, die Unternehmerin Franca Lehfeldt, „größte Flexibilitätsanforderungen“, erzählt Lindner. „Und wir müssen ab einem gewissen Zeitpunkt auch auf Omas hoffen.“ Glücklich wäre Lindner, wenn er seinem Kind das weitergeben könnte, was ihm seine eigenen Eltern einst mitgegeben haben. „Liebe in Verbindung mit einem positiven Leistungsgedanken.“
Weniger harmonisch blickt Lindner dagegen auf die Zusammenarbeit mit seinen Ex-Koalitionspartnern zurück. Als er etwa darum gebeten wird, den Satz „In den letzten drei Jahren hätte ich öfter…“ zu vervollständigen, denkt er länger nach und antwortet dann: „Nein sagen sollen“. Und an Olaf Scholz (SPD) bewundere er, „die Fähigkeit, selektiv die Realität zu betrachten“.
Und über den zweiten Koalitionspartner sagt Lindner: „Dafür zu sorgen, dass die Grünen nicht mehr regieren – allein das ist schon ein Grund zur Wahl der FDP.“ Denn mit der FDP im Bundestag hätte Schwarz-Grün rechnerisch keine Mehrheit, und eine Deutschland-Koalition aus Union, SPD und FDP wäre möglich. Dafür muss die FDP – um im Bild der Ketchupflasche zu bleiben – aber richtig in Fluss kommen.