Putin lässt weiter Gegner jagen

von Redaktion

Mutige in Moskau: Menschen legen am Grab von Alexej Nawalny Blumen nieder. © dpa

Moskau/Berlin – Die Erinnerung an Alexej Nawalny lebt, doch der russische Machtapparat fürchtet sie. Vor einem Jahr wurde der Oppositionsführer, der wichtigste Gegner von Kremlchef Wladimir Putin, im Straflager „Polarwolf“ in der Arktisregion zu Tode gequält. An seinem Grab in Moskau auf dem Friedhof Borissowskoje legen Menschen trotz drohender Repressionen und polizeilicher Beobachtung Blumen nieder. Zugleich geht die Justiz in ganz Russland weiter rigoros gegen Andersdenkende vor.

Vor allem sollen die hunderten politischen Gefangenen abschreckend wirken und jeden Widerstandsgeist im Keim ersticken. Die Liste der inhaftierten Gegner Putins und seines Angriffskrieges gegen die Ukraine ist lang. Die in Moskau verbotene, mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Menschenrechtsorganisation Memorial listet 785 politische Gefangene auf. Drei Anwälte Nawalnys sind im Januar zu langen Haftstrafen verurteilt worden, weil sie den Putin-Gegner verteidigt hatten. Und Nawalny, der an seinem Todestag am 16. Februar erst 47 Jahre alt war, ist auch nicht der Einzige, der in Gefangenschaft starb.

Wer Nawalny als Vorbild stilisiert oder auch seinen Antikorruptions-Fonds FBK unterstützt, riskiert viele Jahre Haft wegen Extremismus. Nawalnys politische Bewegung gegen die verbreitete Schmiergeldkultur und Machtmissbrauch ist verboten. Und auch nach seinem Tod werden die Gesetze gegen Andersdenkende in Russland weiter verschärft. Seine im Exil arbeitenden Anhänger und nicht zuletzt seine Witwe Julia Nawalnaja müssen auch in der EU um ihr Leben fürchten.

Der russische Auslandsgeheimdienst SWR warnte kurz vor Nawalnys Todestag öffentlich vor möglichen Anschlägen auf Vertreter der russischen Opposition im Ausland. Putins Spionageapparat behauptete, dass der ukrainische Geheimdienst solche Taten plane und Russland in die Schuhe schieben wolle. Aber etwa der im vergangenen Jahr bei einem Gefangenenaustausch freigelassene Oppositionelle Ilja Jaschin macht klar, dass es sich vielmehr um eine für den Kreml typische offene Drohung handele: Kein Gegner Putins solle sich sicher fühlen können – egal wo.

Der Kreml hat kritische Medien und die Opposition weitgehend ausgeschaltet. Viele Gegner Putins schweigen aus Angst um ihr Leben. Aktiv sind im Land allenfalls noch kraftlose Reste einer liberalen Opposition. Der Gründer der zumindest auf lokaler Ebene noch vertretenen Oppositionspartei Jabloko, Grigori Jawlinski, fordert auch mit Blick auf die Wiederannäherung der USA und Russlands einen Waffenstillstand in der Ukraine.

„Jetzt ist die allererste Aufgabe, einen Waffenstillstand zu erreichen. Ohne den kann es keine positiven Veränderungen geben“, sagt Jawlinski, der immer wieder Interviews gibt. Jabloko, wo Nawalny einst auch zeitweilig Mitglied war, beklagt seit langem einen immer autoritäreren Kurs unter Kremlchef Putin.

Die Kremlgegner im Ausland haben es ebenfalls schwer, wenn auch auf andere Weise. Viele sind seit Langem im Exil, andere sind in den fast drei Jahren des Kriegs gegen die Ukraine geflüchtet. Die Oppositionellen Jaschin und Wladimir Kara-Mursa sowie Oleg Orlow von Memorial mussten gegen ihren Willen Russland verlassen.

Nun fehlen die Rückkoppelung an eine Basis in Russland, eine gemeinsame Strategie – und vorerst jede Aussicht, an den Verhältnissen etwas zu ändern. „Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass sie eine große Rolle spielen werden, dieses Regime in die eine oder andere Weise zu beeinflussen“, sagt der Politologe Jan Matti Dollbaum. Der Assistenzprofessor an der Uni Fribourg in der Schweiz hat über die russische Opposition geforscht.

Nawalnys Organisation FBK recherchiert von außen weiter zu Korruption in der russischen Elite und produziert pikante Enthüllungsvideos. Zuletzt ging es um angebliche Escort-Girls im staatlich kontrollierten Ölkonzern Rosneft. Doch zu Aktionen von symbolischem Widerstand in Russland rufen die Nawalny-Leute nicht mehr auf – zu groß ist das Risiko.

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